Patient Null
»Reanimation erfolgt in weniger als neunzig Sekunden.«
Er riss sich die Maske vom Kopf und warf sie auf eine Konsole. »Um Himmels willen«, keuchte er und starrte das Monster an.
»Falls du dir Sorgen gemacht haben solltest, dass die Amerikaner eines unser Exemplare zu Forschungszwecken benutzen könnten, dann kann ich dich beruhigen. Meinetwegen können sie alle, die wir ihnen geschickt haben, auseinandernehmen und bis ins kleinste Detail sezieren. Alle präventiven Maßnahmen, die sie in die Wege leiten, werden bei dieser jüngsten Generation völlig nutzlos sein.«
Sie trat zur Glaswand und legte die Handfläche darauf. Als sich die Kreatur mit voller Wucht dagegenwarf, zuckte Amirah nicht einmal zusammen. Stattdessen sah sie noch stolzer aus, und ihre Augen fingen an zu leuchten.
Gault stellte sich neben sie. Das Wesen hörte nicht auf, mit dem Kopf gegen die Glaswand zu schlagen. Offensichtlich konnte sein infiziertes Gehirn das Konzept von Transparenz nicht verarbeiten. Obwohl es nichts riechen konnte, wusste es, wo sich seine Beute befand. Und das war der einzige Gedanke, der sein leeres Hirn bestimmte.
»Sobald wir die neuen Exemplare auf die Bevölkerung loslassen«, flüsterte Amirah begeistert, »wird die Krankheit außer Kontrolle geraten. Niemand wird in der Lage sein, ihr Einhalt zu gebieten.«
Gault nickte langsam, während sein Kopf blitzschnell arbeitete. Er überlegte, was das alles bedeutete, und es fiel
ihm schwer, die sachliche Miene zu bewahren, die er aufgesetzt hatte.
»Dieses Exemplar ist nicht aufzuhalten«, hauchte Amirah. »Wir können sie alle töten.«
»Immer mit der Ruhe«, meinte Gault und legte den Arm um ihre Schultern. »Wir dürfen unser erstes Ziel nicht aus den Augen verlieren. Wir wollen sie gar nicht alle töten, Liebling. Das würde überhaupt keinen Sinn machen. Wir wollen nur, dass sie sehr, sehr krank werden.«
Er streichelte durch den Schutzanzug ihre Brust.
Sie antwortete nicht, sondern wandte sich ab, um einige Instrumente zu überprüfen. Er war sich sicher, dass sie sich absichtlich abwandte, damit er ihren Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. »Du hast mir den Auftrag gegeben, weiter zu forschen, um das ursprüngliche Modell zu verbessern. Was erwartest du von mir? Dass ich meine Arbeit, dass ich alles, wofür ich geforscht habe, zerstöre?«
»Genau das erwarte ich von dir«, antwortete er, hielt dann aber inne und schürzte die Lippen. Er dachte nach. »Aber wenn ich so darüber nachdenke …«
Sie drehte sich wieder zu ihm. In ihrem Gesicht spiegelte sich Misstrauen und Kränkung wider. »Was?«
»Ich habe eine wunderbare Idee«, schnurrte er. »Ich glaube, ich weiß, wie wir dein neues Monster am besten einsetzen können. O ja! Das wäre wirklich reizvoll. Und dir wird es bestimmt auch gefallen!«
Sie runzelte die Stirn. »Und?«
»Ehe ich dir meinen Plan verrate, musst du mir etwas versprechen. Du wirst es nur so einsetzen, wie ich dir sage. Wir können diese Generation des Pathogens nicht an die Öffentlichkeit lassen. Niemals. Das verstehst du doch, oder? Kann ich mich auf dich verlassen, Amirah?«
Sie gab keinen Ton von sich.
»Verstehst du das?«, wiederholte er langsam, wobei er jede Silbe betonte.
»Ja, ich verstehe. Manchmal bist du wirklich ein altes Weib, Sebastian.«
»Meine Liebe, wir wollen die Welt nur kaufen, nicht begraben.«
Amirah zählte innerlich langsam bis drei und nickte dann. »Natürlich«, erwiderte sie. »Ich wollte nur sehen, wozu wir fähig sind. Verstehst du das? Wir haben eine neue Lebensform geschaffen, einen völlig neuen Zustand der Existenz. Das Unleben.«
Er trat einen Schritt zurück und starrte sie mit einem verschlagenen Lächeln an.
Unleben.
Allmächtiger Gott, dachte er.
»Jetzt aber heraus mit deiner Idee«, unterbrach sie seine Gedanken. »Wie kannst du mein neues Pathogen einsetzen, um unserem Ziel näher zu kommen?«
Gault starrte sie nachdenklich an. Sie hatte das Wort »Ziel« benutzt, nicht »Programm«. Nicht »Vorhaben«, nicht »Plan«, sondern »Ziel«. Eine interessante Wortwahl, meine Liebe, dachte er.
Er verriet ihr seinen Plan und beobachtete genau ihr Gesicht, während sie ihm zuhörte. Besonders achtete er dabei auf die Muskeln um ihre Augen und ob sich ihre Pupillen weiteten. Was er auf diese Weise wahrnahm, verriet ihm eine Menge. Vielleicht sogar zu viel, denn es ermutigte und ernüchterte ihn gleichermaßen. Als er schließlich fertig war, leuchtete ihr schönes Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher