Patterson, James - Alex Cross 02 - Denn Zum Küssen Sind Sie Da
»Medizinstudenten müssen sich in Demut üben.« Kate übte sich eindeutig in Demut.
In ihrem kleinen Schlafzimmer zog Kate ein zerknittertes Polohemd über, das sie niemals bügelte. Bügeln war heutzutage keine Priorität. Es war jedoch ein Grund, einen Mann im Haus zu haben jemand, der saubermachte, Ordnung hielt, den Müll wegbrachte, kochte, bügelte. Kate liebte einen Satz von Gloria Steinern: »Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad.« Kate gähnte beim bloßen Gedanken an den Sechzehnstundentag, der für sie um fünf Uhr am nächsten Morgen anfing. Ja, sie liebte ihr Leben! Liebte es!
Sie fiel auf das knarrende Doppelbett, das mit schlichten weißen Laken überzogen war. Der einzige Schmuck waren zwei bunte Chiffonschals, die am Bettpfosten hingen.
Sie stellte das Chili und den heißen Kakao mit Marshmallowschaum ab und legte All die schönen Pferde auf die ungelesenen Ausgaben von Harper’s und The New Yorker. Kate schaltete die Lampe aus und war innerhalb von fünf Sekunden eingeschlafen. Das Ende eines wunderbar aufschlußreichen Selbstgesprächs für heute nacht.
Kate McTiernan hatte keine Ahnung, keinen Verdacht, daß sie beobachtet wurde, daß sie verfolgt worden war, seit sie die belebte, farbenfrohe Franklin Street entlanggegangen war, daß sie ausgewählt worden war. Dr. Kate war die nächste.
Tick-fick.
17. Kapitel
Nein! dachte Kate. Das ist mein Zuhause. Sie hätte es fast laut gesagt, wollte aber kein Geräusch machen. Jemand war in ihrer Wohnung!
Sie war noch im Halbschlaf, aber sie war sich sicher, daß das Einbruchsgeräusch sie geweckt hatte. Ihr Puls raste. Ihr Herz rutschte in den Hals. Herr und Heiland, nein.
Sie blieb ganz reglos am Fußende des Bettes zusammengekauert. Ein paar weitere nervöse Sekunden verstrichen langsam, wie Jahrhunderte. Sie rührte sich nicht. Atmete nicht. Knochenweiße Mondstrahlen spielten an den Fensterscheiben, warfen gespenstische Schatten in ihr Schlafzimmer.
Sie lauschte dem Haus, hörte mit voller Konzentration jedes Knarren und Knacken in dem alten Gebäude.
Jetzt hörte sie nichts Unübliches. Aber sie war sich sicher, daß sie vorher etwas gehört hatte. Wegen der Morde in letzter Zeit und der Zeitungsberichte über Entführungen im Forschungsdreieck hatte sie Angst. Sei nicht makaber, dachte sie. Werde nicht melodramatisch.
Sie setzte sich langsam im Bett auf und lauschte. Vielleicht hatte der Wind ein Fenster aufgestoßen. Es war besser, wenn sie aufstand und die Fenster und Türen überprüfte. Zum ersten Mal seit vier Monaten fehlte ihr Peter McGrath wirklich. Peter wäre keine Hilfe gewesen, aber Kate hätte sich sicherer gefühlt.
Sie war nicht etwa völlig verängstigt oder schwach; sie konnte mit den meisten Männern mithalten. Sie konnte kämpfen wie der Teufel. Peter hatte oft gesagt, er habe Mitleid mit einem Mann, der sich mit ihr anlege, und das war sein Ernst gewesen. In körperlicher Hinsicht hatte er etwas Angst vor ihr gehabt. Aber Kämpfe in der Karateschule waren eine Sache. Das hier war Ernst. Kate schlüpfte lautlos aus dem Bett. Nur kein Geräusch. Sie spürte die rauhen und kühlen Bodenbretter unter den nackten Füßen. Das schickte einen Weckruf an ihr Gehirn, und sie ging in Kampfstellung. Wumm!
Eine behandschuhte Hand traf sie brutal an Mund und Nase, und ihr war, als hörte sie einen Nasenknochen brechen. Dann griff sie ein großer, sehr starker Männerkörper an. Sein ganzes Gewicht drückte sie auf die kühlen, harten Bodenbretter, nagelte sie fest.
Sportler. Ihr Gehirn speicherte jede winzige Information. Sie versuchte, klar und konzentriert zu bleiben. Sehr kräftig. Trainiert!
Er drückte ihr die Luft ab. Er wußte genau, was er tat. Trainiert! Sie merkte, daß er keinen Handschuh trug. Es war ein Tuch. Befeuchtet. Es erstickte sie.
Benutzte er Chloroform? Nein, es war geruchlos. Vielleicht Äther? Halothan? Wie kam er an Narkosemittel heran? Kate konnte nur noch verschwommen denken, und sie befürchtete, sie werde ohnmächtig. Sie mußte ihn abschütteln. Sie stemmte sich mit den Beinen ab, drehte den Körper heftig nach links und verlagerte ihr ganzes Gewicht weg von dem Angreifer, in Richtung der trüben, verschatteten Schlafzimmerwand. Plötzlich entkam sie seinem Griff, war frei. »Schlechte Idee, Kate«, sagte er in der Finsternis. Er wußte ihren Namen!
18. Kapitel
Das Zuschlagen eines Falken… alles kam auf den richtigen Zeitpunkt an. Jetzt hing vom richtigen Zeitpunkt das Überleben
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