Patterson, James - Alex Cross 02 - Denn Zum Küssen Sind Sie Da
Hilfe. Ich kämpfe gegen eine Supra-Struktur hier in Durham.«
Florence lächelte. Sie schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie war halb Kant, halb Prissy aus Vom Winde verweht. »Ich sage Ihnen, was ich bis jetzt weiß, Dr. Cross. Es geht darum, daß sich etliche Mädchen im Wohnheim über Naomi aufgeregt haben.«
Sie atmete die nach Magnolien duftende Luft ein. »Es fing mit einem Mann Namens Seth Samuel Taylor an. Er ist Sozialarbeiter in den Wohlfahrtssiedlungen von Durham. Ich habe Naomi und Seth miteinander bekannt gemacht. Er ist mein Cousin.« Florence sah plötzlich beim Reden etwas unsicher aus. »Bis jetzt sehe ich kein Problem«, versicherte ich ihr. »Seth Samuel und Naomi haben sich im Dezember letzten Jahres ineinander verliebt«, fuhr sie fort. »Naomi lief mit einem verträumten Sternhimmelblick herum, und das sieht ihr nicht ähnlich, wie Sie wissen. Anfangs kam er ins Wohnheim, aber dann wohnte sie bei Seth in Durham.«
Es überraschte mich etwas, daß Naomi sich verliebt und es Cilla gegenüber nicht erwähnt hatte. Warum hatte sie keinem von uns davon erzählt? Aber ich verstand immer noch nicht, warum es Schwierigkeiten mit den anderen Mädchen im Wohnheim gegeben hatte.
»Ich bin mir ziemlich sicher, daß Naomi nicht die erste Studentin an der Duke University war, die sich verliebt hat. Oder einen Mann zum Tee mit Pfannkuchen oder zu was auch immer eingeladen hat.«
»Sie hat nicht nur einen Mann zu was auch immer eingeladen, sie hat einen Schwarzen zu was auch immer eingeladen. Seth kam in seinem staubigen Overall und seinen staubigen Arbeitsstiefeln und seiner Lederjacke aus den Siedlungen hierher. Naomi lief mit einem alten Landarbeiterstrohhut auf dem Campus herum. Manchmal trug Seth einen Helm, auf dem ›Sklavenarbeit‹ stand. Er wagte es, sich etwas bissig und ironisch über die gesellschaftlichen Aktivitäten der jungen Damen und, Gott behüte, über ihr soziales Bewußtsein zu äußern. Er schimpfte mit den schwarzen Putzfrauen, wenn sie ihre Arbeit machen wollten.«
»Was halten Sie von Ihrem Cousin Seth?« fragte ich Florence. »Seth hat eindeutig einen Komplex. Rassistische Ungerechtigkeit macht ihn wütend, bis zu dem Punkt, daß es manchmal sein Urteilsvermögen trübt. Davon abgesehen, ist er wirklich großartig. Er tut etwas, hat keine Angst, sich die Hände schmutzig zu machen. Wenn er nicht mein Cousin zweiten Grades wäre…«, sagte Florence mit einem Zwinkern.
Ich mußte über Florences Sinn für Humor lächeln. Sie war ein bißchen linkisch, weil sie aus Mississippi war, aber sie war eine fabelhafte Frau. Ich freundete mich sogar mit ihrer Hochfrisur an.
»Sie und Naomi haben sich schnell angefreundet?« fragte ich. »Anfangs nicht. Ich glaube, wir hatten beide das Gefühl, wir seien Konkurrentinnen, weil vermutlich nur eine Schwarze die Zulassung zum Vollstudium schaffen konnte, verstehen Sie. Aber im Verlauf unseres ersten Jahres sind wir uns sehr nahe gekommen. Ich liebe Naomi. Sie ist einfach großartig.«
Ich fragte mich plötzlich, ob Naomis Verschwinden mit ihrem Freund zusammenhing und vielleicht gar nichts mit dem Mörder, der in North Carolina frei herumlief, zu tun hatte.
»Er ist ein wirklich guter Mensch. Tun Sie ihm ja nicht weh«, warnte mich Florence. »Nicht einmal in Gedanken.«
Ich nickte. »Ich breche ihm nur ein Bein.«
»Er ist stark wie ein Ochse«, konterte sie.
»Ich bin ein Ochse«, verriet ich Florence Campbell eines meiner kleinen Geheimnisse.
30. Kapitel
Ich sah in die tiefbraunen Augen von Seth Samuel Taylor. Er erwiderte den Blick. Ich sah ihn weiter an. Seine Augen sahen aus wie glänzende schwarze Murmeln, in Mandeln gefaßt. Naomis Freund war groß, sehr muskulös und straff wie ein Arbeiter. Er erinnerte mich mehr an einen jungen Löwen als an einen Ochsen. Er sah untröstlich aus, und es fiel mir schwer, ihm Fragen zu stellen. Ich hatte die Vorahnung, Naomi sei für immer verschwunden.
Seth Taylor hatte sich nicht rasiert, und ich merkte, daß er tagelang nicht geschlafen hatte. Ich glaube auch nicht, daß er die Kleider gewechselt hatte. Er trug ein übel zerknittertes blaukariertes Hemd über einem T-Shirt und löchrige Levis 501. Er hatte die staubigen Arbeitsstiefel immer noch an. Entweder war Seth Taylor tief verstört oder ein raffinierter Schauspieler. Ich streckte die Hand aus, und sein Händedruck war kräftig. Ich hatte das Gefühl, in einen Schraubstock geraten zu sein. »Sie sehen beschissen aus«,
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