Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
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Sascha zu Besuch, einen Tag nachdem sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Sascha mit der Sektflasche. Sascha, kichernd. Sascha, die sie auf den Mund küßte nach dem zweiten Glas. Auf die Augenlider. Ihr die Zunge ins Ohr steckte. Ihre Finger zwischen die weichen roten Lippen nahm, einen nach dem anderen. Und sie Angel nannte. Englisch ausgesprochen. Eine Woche später zog sie ein in die Frankfurter Wohnung.
Und eines Nachmittags hatten sie kichernd auf dem Bett gelegen und einen Joint geraucht und begonnen, einander auszuziehen. Irgendwann kamen sie nicht mehr zum Lachen.
Und Alisha hatte dabeigesessen. Die weiße Katze.
Charles war später gekommen, er hatte sich dazugelegt, und das war in Ordnung gewesen. Auf Charles kam es nicht an. Und es war auch nicht wichtig, was Sascha mit Charles tat. Das wirklich Wichtige geschah zwischen ihnen beiden, zwischen mir und dir, dachte Sophie und hörte der Spülmaschine zu.
Der Umzug nach Klein-Roda in die Siedlung war der Umzug ins Paradies. Dachte sie. Dachten sie alle. Aber es gab dort nicht nur Wiesen und Wälder und Sommernächte. Und Musik und Räucherstäbchen und Mäuse für Alisha. Es gab nicht nur stumpfsinnige Männer. Es gab auch Frauen. Frauen wie Eri.
9
Draußen war es erfrischend kalt. DeLange stand vor dem Café neben Karen Stark und wollte nicht gehen. Sie auch nicht. Sie hatte die Hände in die Manteltaschen gesteckt und sah einem Trüppchen Koreaner hinterher, die sich durch Frankfurts Altstadt führen ließen.
»Gehen wir davon aus, daß Sascha vor dem Überfall verschwunden ist. Daß sie das Dorf nie verlassen hat.«
»Charles. Sie wollte ihn nicht mehr, er wollte verhindern, daß sie ihn verläßt, es kommt zum Streit, es kommt zum Äußersten.« Das alte Lied, dachte DeLange.
»Aber was ist mit Angel? Mit Sophie Winter?«
»Mittäterin?« Er hatte sich stets Mitleid verboten, wenn es um einen Tatverdacht ging. Jeder Mensch, na ja: fast jeder Mensch kann sich frei entscheiden, etwas zu tun oder zu lassen. Nichts, keine Kränkung, kein noch so großer Schmerz rechtfertigt Gewalt, das alles kann höchstens als mildernder Umstand bei der Strafbemessung geltend gemacht werden. Für die Ermittlung war das ohne Belang. Und dennoch … Er sah Sophie Winters Gesicht vor sich und glaubte nicht an ihre Mitschuld. Gewalt war Männersache. Das galt noch immer.
»Sie hat das Haus, in dem das alles passiert ist, vor einem Jahr gekauft. Und nun scheinen sich die Ereignisse von damals zu wiederholen. Sie wird gemobbt.«
»Charles? Er will sie zum Schweigen bringen?«
Karen Stark schüttelte den Kopf. »Ohne Dr. Karl-Heinz Neumann-v. Braun unterschätzen zu wollen: Ich glaube nicht, daß es zu seinen Kernkompetenzen gehört, Gülle auszubringen oder halbverdaute Eichhörnchenleichen aufzutreiben.«
DeLange mußte lachen.
»Jemand will, daß sie verschwindet. Jemand mag ihr Buch nicht.«
»Ein Buch, in dem sie indirekt die Dorfbewohner beschuldigt, Alexandra Raabe getötet zu haben.« Der Fall war vielschichtiger, als er gehofft hatte. Es war nicht auszuschließen, daß das Dorf tatsächlich damals am Verschwinden Saschas beteiligt war.
»Wenn jemand aus dem Dorf der Täter war …«
»Warum sollten Charles und Angel das verschwiegen haben? Wir sind wieder am Anfang.« Karen hakte ihn wie selbstverständlich unter und zog ihn Richtung Zeil. DeLange zögerte wider Willen.
»Es gibt nur eine Option«, sagte sie. »Wir müssen mit Sophie Winter reden.«
Wir? DeLange überlegte. Dann nickte er.
Karen, die ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen gemustert hatte, lächelte. »Mein Auto steht im Parkhaus beim Gericht. Zehn Minuten zu Fuß.«
»Es tut mir leid, heute wird das nichts mehr. Meine Frau …«
Sie nickte. »Natürlich«, sagte sie neutral.
DeLange schüttelte den Kopf und hätte fast gelacht. Was für einen Affenzirkus er aufführte. »Meine Frau liegt im Krankenhaus. Wir leben getrennt, die Töchter wohnen bei mir. Ich muß noch mal zu ihr, es … Es geht ihr nicht gut.«
Sie sah ihn an, bis er die Augen senkte. Dann tat sie etwas, das ihn überraschte. Sie nahm seine Hand. Er betrachtete die langen, schmalen Finger mit den kurzen Nägeln. Dann erwiderte er vorsichtig den Händedruck.
»Rufen Sie an, wenn Sie darüber reden wollen«, sagte sie leise.
Er nickte. Und verstand nicht, warum er plötzlich einen Kloß im Hals hatte.
10
Angel stand in der Küche, stand und heulte und wußte nicht weiter. Irgendwann kam Charles
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