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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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schönsten Sommer ihres Lebens, hatte sie gar nicht begriffen, was geschehen war – nur den Geruch, den hatte sie sofort verstanden. Er lag über der Straße und über dem Garten, ein süßlicher Geruch nach Gülle. Und sie hatten die Brühe nicht auf den Feldern verteilt, sondern bei den Hippies abgeladen, über die Wäsche auf der Leine geschüttet und durch das geöffnete Autofenster gekippt. Das passierte in diesem Sommer nicht ein- oder zweimal. Es passierte fast jeden Tag, eine geschlagene Woche lang. Am zweiten Tag öffnete niemand von ihnen mehr Fenster oder Türen, die Wäsche trocknete in der Küche, und man ließ draußen besser nichts herumliegen.
    Danach landete die Jauche im Gemüsebeet, mitten auf den Salatpflanzen, die die abendlichen Überfälle der Schnecken überlebt hatten. Oder auf dem Phlox oder der Tagetes. Auf den Liegestühlen. Auf der Katze.
    Das Auto, ihr Bus, ihr wunderschön bemalter alter VW-Bulli, stank barbarisch. Die Mädchen weigerten sich, damit zu fahren, und Charles versuchte vergeblich, so zu tun, als ob ihm der Geruch nichts ausmachte.
    Hatten die gewußt, daß keiner von ihnen die Polizei holen würde?
    Sophie Winter goß Kaffee in den Becher und ging hinüber ins Kaminzimmer. Hier hatten sie gesessen, Abend für Abend, und sich gestritten. Man holt nicht die Bullen. Niemals. Man redet mit den Menschen da draußen, mit jedem einzelnen. Frieden und Liebe. Abend für Abend hatten sie sich versöhnt, oben, im Bett. Love and Peace. Das soziale Experiment mit den »Menschen da draußen« aber endete ausgesprochen unfriedlich.
    Kirmes. Das war die Gelegenheit, glaubten sie.
    Sophie lehnte sich in die Sofakissen zurück und schloß die Augen. Wir machen uns hübsch. Charles bindet sich eine Krawatte um, stellt sich betont ungeschickt dabei an, um uns zum Lachen zu bringen. Wir gehen zu Fuß. Wir rechnen mit allem möglichen, mindestens mit Spießrutenlaufen. Die Jungen am Eingang zum Festplatz glotzen, Bierflaschen in der Hand. Ich lächle, Sascha lächelt, Charles sagt: »Tach auch.« Und dann hält er dem einen die Hand hin. Dem Pickeligen vom Hof ein paar Straßen weiter, wo wir Milch geholt haben. Jedenfalls bis eine tote Maus auf dem Grund der Kanne lag. »Ein Versehen!« Natürlich.
    Der Pickelige ignoriert die hingestreckte Hand. Die anderen pfeifen hinter uns her. Gelächter. An den Tischen sitzen die Älteren und starren. Die Weiber mit zusammengepreßten Lippen. Die Männer – na ja. Am widerlichsten sind die, die uns angrinsen mit ihren schlechten Zähnen. Es ist früher Nachmittag, aber überall wird gesoffen. Bier und Schnaps.
    Das Festzelt. Es spielt eine Art Bläserkombo, zwei schmierige Kerle mit Saxophon, einer an der Hammondorgel. Niemand tanzt. Nur wir. Wir drei. Uns egal, ob sie glotzen.
    Als wir gehen wollen, fängt uns ein ganzes Rudel ab. Sie drängen Charles beiseite und versuchen, uns Mädchen zu betatschen. Sie stinken nach Bier und Schnaps und Kuhstall. Der Gestank haftet ihnen an, egal, ob sie geduscht oder sich mit Aftershave desinfiziert haben. Einer preßt seine Lippen auf meine, Bartstoppeln, saurer Atem. Ich schreie auf. »Ich dachte, du magst so was.« Grinsen.
    Charles schlägt um sich, brüllt: »Ihr Schweine.« Jemand stellt ihm ein Bein. Als er am Boden liegt, leert ein anderer eine fast volle Bierflasche über ihm aus. Wir gehen.
    Auf der Straße ein alter Mann, jedenfalls damals kommt er mir alt vor. Steht da, läßt uns näher kommen, mustert Sascha, von oben bis unten. Und spuckt ihr ins Gesicht. Sie und ich haben geheult auf dem Weg nach Hause.
    Dann Ruhe. Keine Gülleattacken mehr. Charles meint, wir hätten ihnen gezeigt, daß wir uns nicht einschüchtern lassen.
    Bis jemand eines Tages das Seitenfenster vom Bulli einschlägt und Benzin auf die Polster gießt. Und es anzündet.
    Nie vergesse ich das anzügliche Grinsen der Bullen. Ob wir den Bus vielleicht selbst angezündet hätten? Im Rausch? Ist man da nicht manchmal etwas – unkontrolliert? Man hört da so einiges! Aber – Rauschgift ist verboten. Jedenfalls hier bei uns.
    Und dann haben sie das Haus auf den Kopf gestellt. Sämtliche Dosen geöffnet, Reis und Tee auf den Boden geschüttet, die Kleider aus den Schränken gezerrt, die Blumenvasen umgekippt, meine Parfümflasche geleert. Aber sie haben nichts gefunden.
    Glück gehabt, sagt einer der Bullen. Um eine Anzeige seid ihr noch mal herumgekommen.
    Die Schallplatte hatte einen Sprung nach dem Besuch. Unsere Lieblingsplatte.

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