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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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stieß die Tür zu seinem Büro auf und ließ sich in den Schreibtischsessel fallen.
    »Ihr Zustand ist stabil, aber Sie möchten sie bitte erst morgen besuchen. Und bringen Sie ihre Versicherungskarte mit.«
    Wieso erst morgen? Und wieso ich? Wieso nicht der Typ, mit dem sie zusammenwohnt? Er nickte mit zusammengebissenen Zähnen. »Was ist los mit ihr?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen.« Die Stimme am Telefon klang ausweichend. »Aber der behandelnde Arzt weiß sicher mehr.« DeLange spürte, wie etwas nach ihm griff. Er legte das Mobiltelefon auf den Tisch, nahm den Kopf in beide Hände und versuchte sich zu entspannen.
    Der Mann aus dem Krankenhaus sagte noch irgend etwas, bevor das Handy verstummte. Auch egal.
    Er mußte sich um Flo und Caro kümmern. Ob sie es schon wußten? Sicher nicht. Aber – wenn der vom Krankenhaus auch zu Hause angerufen hatte? Hatte er nicht, sagte sein Verstand. Wenn aber doch? Caro ging erst nach der zweiten Stunde in die Schule. Er mußte nach Hause. Er mußte zu Feli. Er mußte mußte mußte.
    DeLange versuchte aufzustehen, aber ihm war schwindelig. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren. Und dann wurde ihm übel.
    Der alte Hausfreund, der erst noch vorsichtig angeklopft hatte, trat die Tür ein. Und dann gab es nur noch sie beide.
    Der zottige Kerl knurrte. Fletschte die Zähne. Ging zum Angriff über. Zusammengekrümmt, die Hände um die Armlehnen gekrallt, die Stirn auf der Schreibtischplatte, ließ DeLange den Schmerz wie eine Woge heranrollen und über sich hereinbrechen. Er versuchte, langsam zu atmen und die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Es riß und biß und krallte sich fest in ihm, sein Haustier, der Phantomschmerz.
    »Wir können uns das auch nicht erklären, Herr DeLange.« Ein Spezialist, einer der vielen. Der letzte. »Meines Erachtens gibt es dafür keine physischen Ursachen. Ich tippe auf eine starke seelische Komponente.«
    Vor DeLanges Augen opakes Grau. Metallischer Geschmack im Mund. Wie ein Pistolenlauf.
    Die zweite Welle brandete heran und zog sich wieder zurück. Die dritte folgte, unvermindert stark. Er spürte die verkrampften Muskeln in seinen Oberschenkeln zittern und versuchte, ruhig weiterzuatmen. Atmen. Atmen. Atmen.
    Die vierte Attacke. Vergin m’assisti. Heilige Jungfrau, steh mir bei.
    Endlich wurde es heller vor seinen Augen. Der Hausfreund hatte sich müde gekämpft. DeLange löste die Finger von den Armlehnen. Als Karla im Türrahmen auftauchte, einen Aktenordner unterm Arm, war er noch benommen, aber wieder verhandlungsfähig.
    »Eine Attacke?«
    Er nickte. Die schlimmste seit … Seit Feli ausgezogen war.
    »Geh nach Hause«, sagte sie und legte ihm den Ordner auf den Tisch. »Geh zum Arzt.« Dann fühlte er ihre Hand auf der Schulter.
    Mitleid. Auch das noch.
    »Ich mach das schon mit der Pressekonferenz.«
    DeLange blieb sitzen, während sie ging und leise die Tür hinter sich zuzog. Der schwarzmarmorierte Leitzordner auf seinem Schreibtisch verströmte Archivgeruch, er roch nach stockfleckigem Papier und jahrzehntealtem Staub. »Vermißte Person Alexandra Raabe« stand auf dem Rücken. 1968.

3
    Sophie Winter schrak auf. Sie wußte nicht, wo sie war. Doch es gab da etwas, was sie tun mußte. Dringend. Sie hatte keine Zeit, sie mußte handeln, es hing so viel davon ab. Das Buch auf ihrem Schoß rutschte herunter und fiel auf den Boden.
    Aber was?
    Für einen winzigen Moment kam ihr das Kaminzimmer fremd vor, das Sofa, auf dem sie saß. Der Couchtisch, auf dem ein Glas stand, in dem ein Löffel steckte. Und der Sessel, auf dem sich eine Katze räkelte, gähnte, auf den Rücken wälzte. Sie stand auf und streichelte dem Tier abwesend den Bauch.
    Sie war zu Hause. Es war alles in Ordnung.
    Sie hatte sich mit einem Buch aufs Sofa im Kaminzimmer zurückgezogen, weil es so kalt und ungemütlich geworden war draußen. Das war das letzte, an das sie sich erinnerte.
    Doch plötzlich wußte sie wieder, was sie nicht verpassen durfte. Die Lesung. Sophie Winter blickte hoch zur Wanduhr, eine Pendeluhr, ein Regulator von Erwin Sattler, ein Schmuckstück, das sie sich geleistet hatte, als sie zu begreifen begann, daß das Buch sich gut verkaufte. Es war schon 18 Uhr. Sie mußte sich waschen, schminken, etwas anziehen. Sie mußte nach … Wohin mußte sie fahren?
    Es steht im Kalender, immer mit der Ruhe, redete sie sich zu. Aber wo war der Kalender?
    Die Katze gab einen kleinen Protestlaut von sich, als Sophie sich von ihr löste und hinüber

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