Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
viel zu wenig miteinander unternommen zu haben, dies aber in Zukunft nachholen zu wollen.
25
»Siehst du das?«
»Allerdings.« Paul war erstaunt.
»Die Museumswärter in der pompejischen Ausgrabung zeigen etwas Vergleichbares nur gegen ein Trinkgeld«, sagte Pfarrer Fink und strich einer schwarz angelaufenen Bronzefigur sanft über das gekräuselte Haar.
»Das wäre es auch wert«, gestand Paul ehrfürchtig ein.
»Gott Dionysos höchstpersönlich – mit übergroßem erigiertem Penis«, sagte Fink mit dem Stolz des Wissenden. »Für jeden Besucher unserer Kirche gibt es den hier am Sebaldusgrab gratis zu begutachten.«
Paul wunderte sich ein Mal mehr über die freizügigen Offenbarungen des Gotteshauses, das er seit Ewigkeiten kannte, aber eben auch nicht kannte.
»Du suchst mal wieder Rat«, stellte Hannes Fink trocken fest, als er sich neben der Dionysos-Figur niedergelassen hatte.
»Ja, so kann man es wohl formulieren.«
»Geht dir der Tod nicht aus dem Sinn?«
»Eher das Leben – mein Leben!«, antwortete Paul und setzte sich neben ihn. Er legte den Kopf in den Nacken und schaute in die erhabene Weite des Kirchengewölbes. Die kreisrunde Öffnung in der Decke sah von hier wie ein kleines Loch aus, harmlos und weit, weit weg. Paul dachte nach, bevor er auf die Frage seines Freundes näher einging. Gedankenverloren faltete er die Hände. Als er merkte, dass diese Geste den Eindruck erweckte, als würde er beten, zog er sie schnell wieder auseinander.
»Was wäre an einem Gebet falsch?«, fragte Fink prompt. »Gerade jetzt, in deiner Situation.«
»Hannes«, sagte Paul ohne jede Lust auf eine solche Diskussion, »du kennst meine Ansichten. Ich bin Atheist.«
Der Pfarrer nickte, und ein Lächeln ließ seine Pausbacken rosig leuchten. »Trotzdem suchst du in Gottes Mauern Rat. Das freut mich.« Er wehrte ab, als Paul Anstalten machte, ihm zu widersprechen. »Lass nur. Es ist gut so, wie es ist. Also? Redest du jetzt, oder muss ich erst eine Aufmunterung aus dem geheimen Vorrat des Küsters für uns holen?«
Paul verneinte. »Ich habe das Gefühl, dass ich durch die ganze Aufregung in der letzten Zeit mein eigentliches Leben aus den Augen verloren habe«, machte Paul seinem Unmut Luft. »Es ist kurz vor Weihnachten, und an mir zieht die ganze festliche Stimmung spurlos vorbei. Zu mehr als ein paar Adventspostkarten hat es bei mir nicht gereicht.«
»Na und?«, Fink zuckte mit den Schultern. »Wenn du es nicht vermisst, ist das doch absolut in Ordnung. Ich für meinen Teil halte den Firlefanz rund ums Fest auch für maßlos übertrieben.«
»Das meinte ich nicht«, sagte Paul geknickt. »Meine alte Freundin Lena hat mir ein sehr nettes Geschenk gemacht – es hat mich ziemlich gerührt.«
»Das Geschenk oder die Tatsache, dass sich Lena Mangold wieder verstärkt für dich interessiert?«, fragte Fink mit unverhohlener Neugier.
Paul sah ihn betrübt an. »Vielleicht«, sagte er leise, »ist tatsächlich etwas dran an der These, dass die Weihnachtszeit allein stehende Menschen noch einsamer machen kann.«
»Bist du denn gern mit Lena zusammen?«, fragte Fink.
Paul antwortete nicht sofort, denn so konkret hatte er sich diese Frage bisher selbst nicht gestellt. Er rief sich sein letztes Treffen mit Lena in Erinnerung, und dann dachte er unvermittelt wieder an die Aufregung um Densdorf, den Schreiner – und Dürer.
Dürer. Wie war er wohl mit ähnlichen Gefühlswallungen umgegangen? Wie hatte er sich in seelischen Krisen aufgemuntert? Um das Gespräch in eine andere Bahn zu lenken und um nicht länger über sein Verhältnis zu Lena nachdenken zu müssen, fragte er Fink danach.
Der stieg prompt auf den Themenwechsel ein und tischte ein Mal mehr eine von seinen deftigen Dürer-Anekdoten auf. Finks Wangen glühten, und seine großen dunklen Augen traten noch stärker hervor als sonst, als er berichtete: »Dürer hatte seine Mittel und Wege, sich im Bedarfsfall ein wenig aus dem weltlichen Geschehen auszuklinken.«
»Wie denn?«, fragte Paul.
»Nun – man spricht zwar nicht gern darüber, aber Dürer hat gekifft.«
Paul lachte auf. »Das wird ja immer doller. Was hat Dürer eigentlich nicht gemacht?«, fragte er amüsiert.
Pfarrer Fink zog die Stirn in Falten, was wohl den Wahrheitsgehalt seiner Worte unterstreichen sollte. »Du brauchst dir nur Dürers Bild Das große Rasenstück genauer anzuschauen. Experten gehen davon aus, dass Dürer sich mit den abgebildeten Gräsern nicht allein aus
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