Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
kommt und Fragen stellt.«
Langsam ließ Paul das Handy sinken. »Was soll das heißen? Sie decken denjenigen, der Sie so übel zugerichtet hat?«
»Sie haben ja keine Ahnung!«, jammerte Nadine mit tränenerstickter Stimme. »Wenn ich die Polizei einschalte, bringt er mich um.«
Paul ging neben der Verletzten in die Knie. Eindringlich fragte er: »Von wem sprechen Sie? Wer hat Ihnen das angetan? Warum haben Sie so viel Angst vor ihm?«
»Sehen Sie das nicht?«, fragte Nadine weinend. »Wenn er es ernst gemeint hätte, hätte er mir alle Knochen gebrochen. Das hier sollte nur eine Warnung sein.«
»Wer ist er?«, fragte Paul und blickte sie besorgt an.
»Das darf ich Ihnen nicht sagen«, wimmerte Nadine.
»Aber Sie haben mich extra hierher kommen lassen, um mit mir zu reden.«
»Das war, bevor er mich zusammengeschlagen hat«, sagte Nadine mit schwächer werdender Stimme. »Warum waren Sie nicht früher hier?«
»Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte«, rechtfertigte sich Paul. »Also: Sagen Sie mir jetzt, wer Ihnen das angetan hat?«
»Ich kann nicht. Ich darf nicht.« Sie wirkte verzweifelt.
Paul strich ihr fürsorglich über den Arm. »Aber Sie müssen es tun. Die Polizei wird diesen Kerl ganz sicher schnappen, und dann brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen.«
Nadine lächelte matt. »Sie kennen ihn nicht. Er wird niemals Ruhe geben.« Ihre Augen fielen zu.
»Nadine.« Paul rüttelte sanft an ihren Schultern. »Nadine, Sie müssen mit mir reden.«
»Bitte lassen Sie mich in Frieden«, flüsterte sie. »Lassen Sie mich.« Dann schlief sie völlig erschöpft ein.
Paul blieb noch einen Moment neben dem Sofa sitzen. Dann stand er auf, raufte sich die Haare und wusste nicht weiter.
Er war versucht, Nadines Wunsch zu ignorieren und trotz allem einen Arzt und die Polizei zu rufen. Dann dachte er an seine eigene Lage. Die Polizei würde wissen wollen, was er bei Nadine zu suchen hatte. Sollte sie an ihrem Schweigen festhalten, würde womöglich Paul selbst für denjenigen gehalten, der sie verprügelt hatte. Das konnte für ihn nur schlecht ausgehen. Denn Nadine wäre bei der Schwurgerichtsverhandlung wegen der Ermordung von Beate Meinefeld eine Hauptbelastungszeugin gegen Paul – womit er in den Augen der Ermittler einen Grund hätte, sie mundtot zu machen . . .
Paul sah sich in der Wohnung nach einem Erste-Hilfe-Kasten um und wurde in der Küche fündig. Er versorgte die Blutung über Nadines Auge und untersuchte sie behutsam auf weitere Verletzungen. Dann stellte er ein Glas Leitungswasser auf den Tisch neben dem Sofa. Daneben legte er eine Aspirin-Tablette, die er im Bad gefunden hatte. Leise zog er die Wohnungstür hinter sich zu.
Als er draußen auf der Straße stand, musste er sich erst einmal sammeln. Nadine wusste etwas über den Mord – etwas, das Paul vielleicht helfen könnte, seine eigene Haut zu retten. In ihrer momentanen Verfassung würde er allerdings nichts aus ihr herauskriegen, da war nichts zu machen. Aber er würde bald wiederkommen, dachte er und sah auf seine Armbanduhr.
»Mist«, sagte er. Nur noch eine Stunde bis Geschäftsschluss. Jetzt musste er sich aber beeilen, wenn er seinen Plan für die Nacht noch durchziehen wollte!
20
Paul atmete tief durch, bevor er wieder auf die Pumpe trat. Das Schlauchboot füllte sich viel langsamer mit Luft, als er sich das vorgestellt hatte.
Hinter ihm lag ein wahrer Marathon, dachte er und tat sich selbst leid. Nach dem Schock wegen Nadine hatte er keine Ruhe finden können. Er hatte sich ja fest vorgenommen, noch am selben Tag mehr Licht in diesen Fall zu bringen. Das wollte er erreichen, indem er seine einzige heiße Spur weiterverfolgte.
Weil der Vorderreifen seines Renaults noch immer platt war, hatte er sich den Wagen seines Nachbarn Jan-Patrick geliehen, um sich im Marktkauf mit dem nötigen Equipment auszustatten: ein Schlauchboot in Tarnfarben mit aufgedrucktem Hai am Bug für 19,90 Euro, plus ein Paar Paddel für 4,99. Die passende Luftpumpe hatte ihm Jan-Patrick auch gleich geliehen.
An der Baustelle am Rande des Schrader‘schen Anwesens, wo der halbfertige Rumpf der Lady of Darkness ruhte, hatte Paul wie erwartet leichtes Spiel, um auf das Grundstück zu gelangen. Überall sonst verhinderte der im Übrigen lückenlose, zwei Meter hohe Sicherheitszaun ein Eindringen auf das weitläufige Gelände.
Paul verschanzte sich hinter einem Baugerüst und beobachtete die Villa am gegenüberliegenden Ufer des Teiches,
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