Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
verwundert.
»Weil Schrader meiner Meinung nach immer noch im Spiel ist: Er hat erst vor kurzem seinen privaten Kunstkeller erweitern lassen, und zwar um einen besonders geschützten Trakt. Vielleicht ist ja die Kopie in seinem Arbeitszimmer – und der neue Trakt für das Original reserviert?«
»Sprichst du von der Heiligen Lanze?«, fragte Paul und versuchte, sich in seinem Bett aufzusetzen.
Jasmin wirkte plötzlich wieder sehr viel cooler. »Beweisen lässt sich so etwas nicht. Ich habe keine Befugnis, in dieser Richtung weiter zu ermitteln. Außerdem wächst der Druck aus dem Rathaus, den Verlauf der Ausstellung nicht länger zu stören. Sie ist nämlich seit gestern wieder geöffnet.« Jasmin bückte sich und kramte eine zusammengerollte Zeitung aus ihrer Handtasche. »Hier, lies selbst. Das internationale Medienecho auf die Reichskleinodien ist noch stärker als erhofft. Ein enormer Kulturkick für die Metropolregion Nürnberg.«
Trotz des Ernstes der Lage konnte Paul nicht anders, als über Jasmins Ausführungen zu flachsen. »Nichts gegen gutes Stadtmarketing«, witzelte er, »aber Mord ist doch etwas zuviel des Guten. Oder wollen die hohen Herren gern in der internationalen Presse lesen, dass die Stadt in Kulturangelegenheiten über Leichen geht?«
»Wow, das wäre mal eine ganz andere Dimension des Ermittelns«, sagte sie lachend, »wenn ich dem Oberbürgermeister Handschellen anlegen dürfte.«
Ihre so liebevolle wie unbekümmerte Offenheit tat Paul gut. Er ertappte sich dabei, wie er ihr Gesicht mit Blicken streichelte. Ihn ergötzten ihre lebhafte Mimik, das Spiel ihrer Lachfältchen, ihre Sommersprossen. Er erfreute sich an ihrem schlanken Näschen, den leicht aufgeworfenen vollen Lippen und der schönen hohen Stirn, umrahmt von ihrem irischen Haar.
Am meisten aber hatten es ihm Jasmins Augen angetan. Sie hatten zwar keine besondere Farbe. Es war etwas Blau und Grau dabei, aber noch mehr Grün, und das Ganze sah ziemlich verwaschen aus. Aber diese Augen spiegelten eine Welt voller Gefühle wider. Paul las aus ihrem wechselnden Glanz je nach Stimmungslage gelöste Freude, Mitgefühl, Ärger und immer öfter große Zuneigung.
Jasmin schien sein minutenlanges Taxieren unangenehm zu sein, denn sie fing wieder munter an zu reden: »Was macht man denn mit einem wie dir, der eigentlich am liebsten sofort aufspringen und sich zurück ins Leben stürzen würde, aber noch mindestens einen Tag ans Krankenbett gefesselt ist?«
Da Paul nur die Achseln zuckte, fuhr Jasmin fort: »Am besten wohl Witze erzählen. Das heitert auf.« Sie ließ den Blick suchend durchs Zimmer gleiten. »Wie wäre es mit dem: Wird ein Nonnenkloster von Banditen überfallen. Die machen sich sofort über die Nonnen her. Sagt die eine: › Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. ‹ Darauf die andere: › Sei still! Meiner weiß es genau. ‹ « Jasmin grinste ihn an.
»Witzig«, sagte Paul, der über diese derbe Zote aus Jasmins Mund etwas verwundert war.
Jasmin wartete wohl auf eine weitere Reaktion. Als diese ausblieb, begann sie, zärtlich seinen Arm zu streicheln.
Ihr Gesicht näherte sich Pauls. Als ihre Lippen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren, hauchte Jasmin: »Weißt du, was ich jetzt gern tun würde?«
Paul konnte sich dazu einiges vorstellen. Banditin spielen? Aber es war müßig, weiter über Jasmins Andeutungen zu spekulieren – prompt klopfte es an der Tür, die im nächsten Moment aufgerissen wurde. Paul schreckte auf.
Eine resolut wirkende Krankenschwester mit einem riesigen, mit Cellophan umwickelten Blumenstrauß kam auf ihn zu. »Herr Flemming, für Sie«, sagte sie in barschem Ton, warf Jasmin einen abschätzigen Blick zu und riss eine angetackerte Begleitkarte von der Cellophanhülle ab. Sie reichte sie Paul und belehrte ihn: »So viele Blumen können Sie hier im Zimmer nicht behalten. Ich stelle den Strauß ins Schwesternzimmer. Sie können ihn dort abholen, wenn Sie entlassen werden.« Mit diesen unmissverständlichen Worten ging sie und schloss die Tür dermaßen lautstark hinter sich, dass Pauls Zimmernachbar aufwachte.
Neugierig schielte Jasmin auf die Karte. Paul hatte sie betont arglos aufs Bettlaken gelegt, so dass Jasmin den kurzen Gruß mitlesen konnte:
»Mein Lieber! Ein Genesungsgruß von mir leider nur vom Fleurop-Boten. Aber in Gedanken bin ich bei dir. Gute Besserung und die allerliebsten Grüße! Küsschen, Katinka.«
Paul schwieg, während Jasmin auf
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