Paul sucht eine Frau
hatte traurige Augen, selbst wenn sie lächelte, und das faszinierte ihn.
Nachdem sich die ersten Schmetterlinge in seinem Bauch zeigten, hat er drei Monate nichts unternommen. Natürlich hat er sich nicht getraut, Lisa anzusprechen. Wie bei allen Mädchen, in die er sich in den Jahren zuvor verliebt hatte. Seine Kumpels in der Schule hatten alle spätestens in der sechsten Klasse die ersten Freundinnen. Seine Kumpels waren aber auch nicht so schüchtern wie er. Schon damals war es so.
Lisa schrieb er schließlich eine E-Mail und offenbarte ihr seine Gefühle. Sie schrieb nicht zurück, aber als sie sich das nächste Mal sahen, fragte sie ihn, ob sie mal gemeinsam ins Kino gehen sollten.
»Äh, klar«, krächzte Paul.
Weil nichts anderes lief, landeten sie in einer seichten deutschen Liebeskomödie. Von der E-Mail kein Wort von Lisa. Er dachte schon, alles sei verloren, er hätte sich zum Trottel gemacht, als er sie am späten Abend schweigend bis vor ihre Haustür begleitete.
»Tschüss«, sagte Paul.
Und Lisa kam zu ihm und küsste ihn auf den Mund.
Denkt er heute darüber nach, dann hatte Lisa wahrscheinlich einen Fetisch für schüchterne Jungs. Anders ist es nicht zu erklären, dass sie Hals über Kopf mit ihm zusammenkam, obwohl er auch nach dem ersten Kuss kaum einen zusammenhängenden Satz mit ihr wechselte.
8
Weisheiten, die Paul gelernt hat, seit er im Rollstuhl sitzt:
* Rollstuhl-Alu ist stabiler als Fahrstuhltüren
* Trinke nie mehr als drei Bier in einer Kneipe, wenn die Toilette im Keller ist
* Falls du wirklich mal Hilfe brauchst, ist weit und breit kein Fußgänger zu sehen
* Stelle dich nie in die Nähe eines Zebrastreifens oder einer Ampel, wenn du nicht auf die andere Seite willst
Paul hat alle diese Regeln auf die harte Tour mitbekommen. Zum Beispiel als er das erste Mal in der Heidelberger Pinte gelandet ist. Die Saufgelage dort sind legendär. Paul wollte sich nicht lumpen lassen. Und musste sich am Ende dreimal vom Kellner in den Keller tragen lassen.
Und wie oft war er irgendwo beim Sightseeing und wurde plötzlich von irgendjemand über die Straße geschoben, nur weil er sich in die Nähe einer Ampel gestellt hatte?
Wirke immer bedürftig und lasse dir von allen Mitmenschen helfen, um sie nicht zu provozieren , könnte auch eine Weisheit sein. Aber das ist natürlich Unsinn. Kein Rollstuhlfahrer spielt den hilflosen, nur damit die Gutmenschen ihre barmherzigen Taten vollbringen und ihr Gewissen beruhigen können.
Lara lernt Pauls Probleme mit der aufdringlichen Hilfsbereitschaft seiner Mitmenschen das erste Mal kennen, als sie ihn zum Einkaufen in den Supermarkt begleitet. Es sind nur ein paar hundert Meter bis zu dem Laden. Lara läuft zwei Meter hinter Paul mit dem Einkaufskorb in der Hand. Plötzlich hält eine Fahrradfahrerin abrupt neben den beiden an, als sie eine Straße überqueren. Die Dame starrt Paul an und dann Lara.
Zum Glück sagt sie nichts. Aber ihr Blick soll wohl so etwas bedeuten wie: »Ja, schämen Sie sich nicht! Jetzt helfen Sie doch dem armen Mann!«
Paul könnte im Boden versinken. Wie man mit solchen Menschen umgeht? Er hat keine Ahnung.
Lara bleibt stehen und dreht sich ganz lässig zu der Frau.
»Der muss trainieren. Für den Iron Man .«
»Also ...«, die Dame schüttelt den Kopf und grummelt noch irgendetwas unverständlich vor sich hin. Dann steigt sie auf ihr Rad und fährt schnaubend dem Sonnenuntergang entgegen.
Paul sieht Lara an.
»Wow«, sagt er. »Das war gut. Muss ich mir merken.«
»Keine Ursache. Blöde Sprüche gibt’s bei mir gratis.«
* * *
An einem Freitag Nachmittag, Paul ist gerade von der Uni zurück, klingelt es. Da Lara mit der Wäsche beschäftigt ist, macht sich Paul auf und öffnet die Tür. Vor ihm im Hausflur steht ein schlaksiger Typ um die Zwanzig mit einem Ordner unter dem Arm.
»Hi. Ich bin Max«, erklärt der Kerl. »Ich bin in einer schwierigen Situation. Aber ich bin mir sicher, dass du mir helfen kannst.«
Worauf läuft das hinaus? Vielleicht hätte er doch Lara bitten sollen, die Tür zu öffnen. Wenn fremde Männer plötzlich im Hausflur stehen, verheißt das meist nichts Gutes.
Dummerweise ist Paul furchtbar schlecht in solchen Situationen. Er kann sich nicht durchsetzen und schafft es nicht zu sagen, dass er das angebotene Produkt nicht braucht – egal ob Staubsauger, Glückslos oder Seelenheil. Was regelmäßig dazu führt, dass er sich dreißig Minuten die Vorteile einer
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