Paula geht
Freundlichkeit.
„Kehren Sie erst mal vor Ihrer eigenen Tür. So jemanden wie Sie haben wir hier nicht gebraucht“, kam es scharf zurück.
Jetzt fiel Paula doch die Kinnlade herunter. „Wie meinen Sie das?“
„Fragen Sie Ihre Nachbarn, was sie von Ihnen halten mit dem ganzen Ziegengestank und Sperrmüll über Wochen, das ist doch kein Zustand.“ Paula war sprachlos und das war gut so, denn sie hatte keinen Grund sich vor dieser Ziege (nein, das war eine Beleidigung für ihre Mitbewohnerinnen), vor dieser Schnepfe zu rechtfertigen. Die schnappte inzwischen ihre Tüten, ließ wieder einen großzügig bemessenen Geldschein zurück und stöckelte davon. Paula sah ihr hinterher und versuchte ihre Wut zu einem Stein zu materialisieren, über den die Tussi stolpern sollte. Pelz im Matsch, das wär‘s. Ein älteres Mütterchen vor ihr sah sie gütig an und sagte: „Mit der ist nicht gut Kirschen essen, beachten Sie sie einfach nicht.“ Ja, klar, das war ein vernünftiger Rat, aber nicht, wenn man gerade wie ein Dampfkessel brodelte.
Die sympathische Frau hinter ihr legte ihr die Hand auf die Schulter. „Es gibt auch nette Leute hier, wissen Sie.“
„Ja, gestern habe ich tatsächlich das erste weibliche Exemplar dieser Gattung kennengelernt“, knurrte Paula.
„Woher kommen Sie eigentlich?“
Paula erzählte ein wenig, was sie hierher verschlagen hatte. Die Frau stellte sich als Annemarie und Leiterin der Volkshochschule in Penzlin vor. Sie standen noch lange auf dem Platz, selbst als der Wagen von Frau Hansen schon abgefahren war. Annemarie besuchte zweimal pro Woche ihre Mutter, die hier lebte und nicht mehr aus dem Haus konnte. Als sie von Paulas Praxisvorhaben hörte, schlug sie ihr vor, doch ein, zwei Vorträge an der VHS zu halten, das wäre immer eine gute Werbemaßnahme. Paula versank schon jetzt in den Boden bei der Vorstellung, einen Vortrag zu halten, aber sie versprach, es sich durch den Kopf gehen zu lassen. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und lud Annemarie ein, nächsten Dienstag, wenn sie wieder im Ort sei, auch bei ihr auf einen Kaffee vorbeizuschauen. Die nickte. „Gerne, wirklich schade, dass es hier kein Café gibt. Aber Ralf hat ja so etwas vor in Verbindung mit seinem Hofladen.“
„Du kennst Ralf?“
Annemarie lächelte. „Ja, wir hatten mal ein Date, dann ist aber doch nichts draus geworden, weil ich doch bei meinem Mann geblieben bin, aber das ist eine andere Geschichte. Aber deswegen ist es heute immer noch ein wenig komisch zwischen Ralf und mir.“
Paula nickte. „Ich kann ihn noch nicht so richtig einschätzen, aber er scheint ganz nett zu sein.“
„Ja, das ist er.“
Einige Tage später saß Paula über einem kleinen Büchlein, in das sie ihre Ausgaben eintrug. Bald lief ihr Arbeitslosengeld aus. Damit hörten dann Gott sei Dank auch die Zwangstermine auf dem Arbeitsamt auf, die sie mit Fahrt immer einen Arbeitstag kosteten und die Pro-forma-Bewerbungen, die das Arbeitsamt von ihr verlangte. In zwei Monaten würde sie wenig stolze Hartz IV-Empfängerin werden. Die Prüfung im März hatte sie sich inzwischen aufgrund der Stoffmenge abgeschminkt. Wenn sie die Heilpraktikerprüfung im Oktober auf Anhieb schaffen würde, könnte sie Ende des Jahres die Praxis starten – frühestens.
Jacek war wieder gesund und hatte ihr seinen Kostenvoranschlag für eine kleine Dachsanierung gemacht. Er würde alle schadhaften Stellen ausbessern und es ein wenig isolieren, so dass es wieder einige Jahre halten sollte. Aber auch das waren wieder 2.600 Euro insgesamt und von dem Privatkredit war nun nichts mehr da. Paula seufzte und rieb sich die müden Augen. Es führte kein Weg daran vorbei, sie musste sich eine Arbeit suchen. Der schnellste Weg wäre, sich am Krankenhaus zu bewerben. Gute Schwestern wurden immer gesucht. Aber sofort sprangen alle inneren Warnlampen an, ihr Magen krampfte sich zusammen und ihre Füße wurden schwer, allein bei dem Gedanken daran, erneut ein Krankenhaus zu betreten. Das schien auch als vorübergehende Maßnahme nicht der richtige Weg zu sein. Doch was konnte sie sonst? Sie war sich nicht zu schade, irgendeine halbwegs anständig bezahlte Arbeit anzunehmen, und hatte auch nichts dagegen, körperlich zu arbeiten, zum Beispiel Regale einzuräumen oder in einer Gärtnerei. Aber in diesem Dorf gab es weder einen Supermarkt noch eine Gärtnerei und auch sonst keine Arbeitsplätze. Bei Sven in der Werkstatt wollte sie nun nicht gerade fragen,
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