Paula geht
nach den Geschichten, die er von seinem Arbeitgeber erzählt hatte. Vielleicht wusste Ralf jemanden. Genau, sie würde Ralf fragen.
Energisch klappte sie ihr Buch zu und machte sich auf den Weg zu den schwarzen Zahlen. Sie musterte die unscheinbaren Häuser, die in der Dämmerung mit dem grauen Schneematsch verschmolzen. Wenn dieser Winter vorbei ist, wird alles besser, sagte sie sich. In der letzten Zeit hatte sie sich manchmal in ihre Frankfurter Eintönigkeit zurückgewünscht, das war kein gutes Zeichen.
Paula traf Ralf mit Nathan auf der Weide. Ralf schien sich zu freuen, sie zu sehen. „Ralf, ich muss mit dir reden, hast du Zeit?“
„Klar, das Tolle an meinem Job ist die freie Zeiteinteilung. Möchtest du einen Tee? Vielleicht habe ich auch noch ein paar Uralt-Plätzchen von meiner Mutter.“
Paula nickte dankbar und beide stiefelten in Richtung Haus. Sie hatten sich seit ihrem weihnachtlichen Treffen nur sporadisch im Ort gesehen, den Kinobesuch hatte er platzen lassen. Paula wusste nicht so recht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Einerseits schien er an ihr interessiert zu sein, dann aber wirkte er wieder so, als wenn er sich bewusst zurückzöge. Verstehe einer die Männer, dachte sie, und kraulte Nathan den Kopf, während sie ihre Stiefel in der Diele abstreifte.
Es hatte sich nicht viel verändert, seit sie vor zwei Monaten das letzte Mal hier war, ein paar mehr Klamotten lagen in der Gegend herum, es roch abgestanden und ein wenig nach Sauerkraut. Ralf schien das auch zu bemerken und riss die Fenster im Wohnzimmer auf. Als sie sich in der Küche mit ihren dampfenden Teetassen gegenübersaßen, fragte Ralf: „Paula, was treibt dich zu mir, schieß los.“
Paula zögerte einen Moment und merkte, wie die Tränen aufstiegen. Nein, sie würde nicht schon wieder vor Ralf heulen, diesmal nicht. Sie setzte sich gerade hin und räusperte sich. „Also, ich habe da gerade einen kleinen finanziellen Engpass und bin auf Arbeitssuche. Da dachte ich, weil du hier im Dorf alle kennst, ob du weißt, also ob du jemanden kennst, der jemanden braucht. Ich stelle mich in vielen Dingen gar nicht so blöd an.“ Jetzt war es heraus. Sie sah auf den Tisch. Nein, die vertrockneten Vanillekipferl machten sie nicht mehr an. Dann blickte sie auf, weil Ralf nichts sagte. Er sah sie wieder mit diesem undurchdringlichen Blick an, bei dem sie sich fühlte wie eine Kuh, die gemustert wurde, bevor sie prämiert wurde, vielleicht aber auch bevor sie zum Schlachter kam.
„Ich wüsste da jemanden“, sagte er langsam.
„Ja?“ Paula richtete sich auf. „Wer und was ist es denn?“
„Ich und mein Hof bräuchten dringend Unterstützung.“
Na klar, das war logisch, da hätte sie ja auch mal drauf kommen können. Aber jetzt sah es so aus, als wenn sie durch die Hintertür ... „Ähm, Ralf, damit das klar ist, ich habe nicht an dich gedacht, sondern ich dachte nur, dass du dich hier gut auskennst.“
Er winkte müde ab. „Das weiß ich doch, dass du nicht an mich gedacht hast.“ Er grinste schief. „Aber ich könnte wirklich jemanden brauchen.“
„Hast du nicht Erntehelfer, wenn es viel zu tun gibt draußen?“
Ralf nickte. „Sicher, alleine würde ich das alles nicht schaffen. Nein, es geht um etwas anderes. Habe ich dir schon gesagt, dass mir ein Hofladen vorschwebt mit einer Art Biergarten, in dem es kleine Gerichte gibt und vielleicht einen Streichelzoo für die Kinder?“ Seine Augen fingen an zu strahlen.
„Ja, ein bisschen davon hast du bei unserem letzten Treffen angedeutet.“
„Ich schaffe das nicht neben der täglichen Arbeit, aber ich träume schon lang davon. Ich glaube, du könntest das gut in Gang bringen.“ Jetzt klang er richtig begeistert und sah sie herausfordernd an.
„Du weißt, dass ich eine Praxis aufmachen will und nicht dauerhaft bei dir arbeiten kann? Aber ein knappes Jahr muss ich noch überbrücken. Wenn dir das was hilft?“
„Es geht mehr darum, ein Konzept zu entwickeln und den Laden aufzubauen. Freundliche Frauen, die dann darin arbeiten, finde ich schon.“
Freundliche Frauen hier im Dorf? Paula biss sich auf die Zunge. Nein, sie wollte nicht anfangen zu lästern.
„Also, mein Vorschlag: Ich brauche Geld, du brauchst ein Konzept. Wie wäre es, wenn ich vier Wochen probeweise an ein oder zwei Tagen für dich arbeite. Da ist dein finanzielles Risiko gering und wir können sehen, ob wir gut zusammenarbeiten. Aber ich möchte nicht nur am Schreibtisch sitzen,
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