Paula geht
vermisste ihn und damit basta. Und sie hasste es, wenn die Dinge nicht ausgesprochen wurden und sie nicht wusste, woran sie war.
Sie ging in die Küche, nahm das Mehl und den Zucker aus dem unteren Küchenschrank. Er war mit Schrankpapier ausgelegt, das mit Reißnägeln festgemacht war, und sie liebte das altmodische Blümchenmuster. Die harte Butter, Zucker und Mehl und viel bitteren Kakao knetete und rieb und krümelte sie so lange, bis richtig fette Streusel entstanden. Natürlich wanderte eine gute Portion ungebacken direkt in ihren Bauch, das gehörte schließlich dazu zum Kuchenbacken, oder? Genauso wie sie es liebte, den warmen Kuchen manchmal nachts von innen auszuhöhlen. Allerdings nur, wenn sie wusste, dass kein Besuch kam.
Kuchenbacken beruhigte sie, deswegen backte sie öfter, als das ihrer Figur zuträglich war. Immerhin, Herr Matussek sprach wieder mit ihr, seitdem sie den beiden regelmäßig Kuchenpakete vor die Tür stellte. Seine Holde schaute sie immer noch nicht an, aber Paula würde wetten, dass sie trotzdem ihren Kuchen aß. Es war also nur noch eine Frage der Zeit, bis sie einknicken würde. Ja, Paula hatte einen langen Atem. Das hatte sie im Krankenhaus gelernt, sonst wäre sie schon viel früher gegangen aus diesem Wahnsinnssystem.
Und Bene profitierte von der Backerei. Er war so schmächtig, dass sie sich fragte, ob er zuhause genug zu essen bekam. Sie dachte an ihre letzte Begegnung vor zwei Tagen. Da hatte sie ihn wieder mit den Ziegen erwischt, denen er Bündel Löwenzahn brachte, obwohl sie ihm schon mal gesagt hatte, dass sie davon Bauchweh bekamen. Camilla zumindest, die hatte aber auch ständig schlechte Laune, was vermutlich an ihrem gereizten Magen lag oder umgekehrt. Sie hatte Bene hineingebeten und er war wie selbstverständlich erst einmal in die Küche gelaufen und hatte sich suchend umgeschaut. Sie stellte ihm ein dickes Stück Nusszopf vor die Nase, über das er sich wortlos hermachte. Das Einzige, worauf sie achten musste, war, dass er die klebrigen Finger von ihrer neuen Tapete ließ, wenn er um die Ecken flitzte. Er liebte es, auf den blanken Dielen mit seinen Stricksocken zu rutschen, die er sonderbarerweise auch im Sommer trug.
Sie verstanden sich auch ohne viele Worte. Anders als gedacht, ging er ihr wirklich nicht auf die Nerven. Sie freute sich inzwischen richtig, ihn zu sehen, hielt manchmal sogar vor dem Haus nach ihm Ausschau. Er war kein Kind, das beschäftigt werden musste. Entweder er war einfach bei ihr und half ihr auf seine linkische Art, wobei er ihre Bewegungen, wenn sie zum Beispiel etwas schliff oder strich, auf rührende Art nachahmte, so dass die Gesten für den kleinen Mann etwas überdimensioniert wirkten. Oder er malte in der bereits eingerichteten Kinderecke sonderbare Wesen und Autos mit Flügeln. Aber Paula fragte ihn nicht danach, was das alles zu bedeuten hatte.
Sie hatte ihn vor einigen Wochen gefragt, ob seine Eltern wüssten, wo er wäre, wenn er sie besuchte. Er hatte genickt. Sie hatte danach den Fehler gemacht nachzufragen, wo er wohne und wie es so bei ihm zuhause sei. Daraufhin hatte sie eine haarsträubende Geschichte zu hören bekommen.
Seine Mutter würde er nicht kennen. Sie sei vor seiner Geburt (ja, er sagte tatsächlich vor seiner Geburt) davongeschwebt, vermutlich auf einem fliegenden Teppich, denn sie hätte eigentlich schon immer in einer anderen, in einer Märchenwelt gelebt. Wahrscheinlich sei sie eine schöne Prinzessin gewesen und in ihr Reich heimgekehrt. Er glaube aber nicht mehr daran, dass sie ihn noch holen würde, denn dazu hätte sie ja schon sieben Jahre Zeit gehabt. Er würde bei seiner Stiefmutter wohnen, die aber immer die anderen Kinder bevorzugen würde so wie bei Aschenputtel. Er müsse zwar keine ausgeschütteten Erbsen aufheben, aber er würde genau merken, dass er im Weg sei und sie ihre Kinder lieber mochte, deswegen würde er nach der Schule lieber anderswo sein. Seine Stiefschwestern wären blöd, sie hätten nur Jungs im Kopf und würden den ganzen Tag ihre Pickel ausdrücken und Lippenstifte ausprobieren.
„Und dein Vater?“, hatte Paula vorsichtig gefragt. Daraufhin wurde er rot und wirkte ganz schüchtern, und Paula merkte, dass sie an sein Heiligstes rührte. Der wäre da, manchmal zumindest. Und sie wären ein super Team, hatte er dann ganz leise gesagt, aber trotzdem hatte es plötzlich auf die Dielen getropft und Paula hatte schleunigst aufgehört zu fragen.
Sie seufzte, während sie die
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