Paula geht
Quarkcreme für den Zupfkuchen rührte. So gerne sie Bene hatte und auch wissen wollte, wie das wirklich war mit seinem Zuhause und seiner Familie, hielt sie sich doch zurück. Sie hatte sich in den langen Klinikjahren angewöhnt, nicht zu viel vom Schicksal der kleinen Patienten wissen zu wollen. Sie stand ihnen bei an jedem einzelnen Tag, den sie für sie zuständig war, aber darüber hinaus konnte sie nicht die Kraft aufbringen, sich näher mit ihren familiären Baustellen auseinanderzusetzen. So zuckte sie auch bei Bene zurück, sich weiter hineinziehen zu lassen, auch wenn sie ihn wirklich mochte. Es war ok, so wie es war. Er kam vorbei und ging auch wieder, sie verstanden sich gut. Tja, eigentlich war er gerade ihr einziger Freund, mit dem es keine Probleme gab, dachte sie, während sie den Kuchen in den vorgeheizten Ofen schob.
Neulich hatte er über Magenschmerzen und Durchfall geklagt. Da hatte sie ihm leider den Kuchen vorenthalten müssen und ihm dafür eine Portion Nux vomica verabreicht. Eine Stunde später schlitterte er wieder munter durchs Haus. Durfte sie das oder war das Körperverletzung, ohne Absprache mit den Eltern einem Kind Globuli zu verabreichen?
Bisher war sie stolz auf ihre Trefferquote und hatte mindestens schon ein Dutzend Kinder im Dorf teilweise mehrfach behandelt und nicht selten ihre Mütter gleich mit. Viele signalisierten ihr, dass sie sich darauf freuten, wenn sie endlich ihre Praxis eröffnen konnte. Aber sie wusste, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte, obwohl sie kein Geld nahm und höchstens mal in Naturalien bezahlt wurde. Heu für die Ziegen war ihr sehr willkommen oder ein paar schöne Platten für den Vorgarten, die die Heinzes übrig gehabt hatten zum Beispiel. Das, was sie tat, war eigentlich Heilen ohne Zulassung und Erlaubnis. Aber, wer heilt, hat recht, oder wie hieß dieser Spruch?
Sie wusch sich die Hände, der Kuchen begann schon zu duften. Sie hätte ihn jetzt wirklich gerne mit Sven geteilt. Ob sie Sven und Bene mal bekannt machen sollte? Aber die Zeitfenster der beiden überlappten sich nicht. Bene verschwand meistens gegen halb sechs und Sven traf selten vor acht Uhr ein, außer sie waren explizit zum Arbeiten verabredet.
Kapitel 19
Es klingelte. Paula schaute durch den Türspion, den auch der liebe Sven ihr eingebaut hatte. Oh, sie hatte gehofft, es wäre Sven, aber ups, da stand Annemarie. Die letzten beiden Dienstage war sie nicht vorbeigekommen und Paula hatte sich auch nicht gemeldet, weil sie einfach nicht wusste, was sie sagen sollte. Sie holte tief Luft und öffnete. „Hallo Annemarie, wie schön, komm rein. Ich hab gerade einen Kuchen gebacken, der ist aber noch nicht abgekühlt, aber vielleicht magst du später ein Stück?“ Paula, hör auf zu plappern, mahnte sie sich, das macht die Situation nicht besser.
Annemarie lächelte schwach. „Mal sehn, ob mir heute nach Kuchen ist. Aber reinkommen würde ich wirklich gerne.“ Sie zögerte, ob sie sich an Paula vorbeischieben sollte, aber dann drückten sich die beiden Frauen unsicher. Paula roch für kurze Zeit den so vertrauten Annemarie-Duft nach Schafwolle, ihrem herb-frischen Parfüm und leicht verschwitzter Haut.
„Komm, wir gehen in die Küche, da ist es warm. Der Praxisraum ist nicht geheizt. Ich habe dich heute gar nicht erwartet“, versuchte sie zu scherzen.
Annemarie fing an zu weinen, als sie am Küchentisch saß. „Paula“, schluchzte sie, „es tut mir so leid, was passiert ist.“ Sie sah über Paulas Schulter, als müsse sie sich einer moralischen Instanz erklären, die hinter Paula stand. „Du warst so nett zu mir, es hat so gutgetan.“ Sie schniefte. „Und dann ist irgendwas mit mir durchgegangen, wenn du verstehst, was ich meine.“
Paula lächelte und versuchte Annemaries Blick aufzufangen. Sie streckte ihre Hand aus, Annemarie zuckte unwillkürlich zurück.
„Hey, nicht nur mit dir ist was durchgegangen. Zu so was gehören zwei, oder?“ Paula räusperte sich. „Auch wenn das eine wirklich ungewöhnliche Erfahrung war, ich bereue sie nicht, du etwa?“, fragte sie leise.
Annemarie schüttelte den Kopf und lächelte schief.
„Das Einzige, was ich schlimm fände, wäre, wenn wir keine Freundinnen mehr sein könnten, deswegen.“
Annemarie sah ganz erschrocken auf und ihr jetzt endlich direkt in die Augen. „Paula, nein, bitte nicht. Deswegen bin ich ja hier, damit wir das klären können.“
Ha, Paula freute sich. Das war doch das Gute an einer
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