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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Verbrechen gab. Solche wackeren Burschen könnte ich auch gebrauchen, dachte er voller Neid.
    Während er durch die ruhigen, sich schnell leerenden Straßen zu seinem Nachtlager zurückkehrte, überließ er sich einem Anfall von Inspiration. Unter dem Eindruck des Erlebten kam dem Oberst eine glänzende Idee zur allgemeinen Umgestaltung der Gendarmerie und der Polizei.
    Man müsste einen mönchischen Ritterorden gründen, in der Art des Deutschen Ordens, um dem ganzen Gebäude der russischen Staatlichkeit ein solides Fundament zu geben, träumte Felix Stanislawowitsch. Man würde die besten, dem Thron am meisten ergebenen tapferen Kämpen aufnehmen, die Abstinenz, unbedingten Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, Uneigennützigkeit und Ehelosigkeit geloben müssten. Ein Keuschheitsgelübde wäre wohl nicht nötig, aber Ehelosigkeit wäre gut. Damit ließe sich vielen Problemen aus dem Weg gehen. Das heißt, einfache Polizisten und selbst Offiziere der niederen Ränge bräuchten keine Ordensmitglieder zu sein, aber nur diejenigen sollten hohe Ränge in der Hierarchie bekleiden können, die das Gelöbnis abgelegt hatten. Nun, eben wie beim geistlichen Stand, wo es die weltliche und die klösterliche Geistlichkeit gab. Dann würden ein wirkliches Königreich der Ordnung und das Diktat strikter Gesetzlichkeit anbrechen.
    Der Oberst war so gefesselt von seinen großartigen Plänen, er klapperte mit seinen Absätzen so kräftig über die Eichenbohlen des Trottoirs, dass er beinahe an der »Zuflucht der Demütigen« vorbeimarschiert wäre (was im Dunkeln nicht schwierig war, denn das Aushängeschild für freie Zimmer wurde einzig vom Licht der Sterne beleuchtet).
    Der fromme Diener riss sich von seinem Buch los, das von feuchten, klebrigen Händen beschmutzt und zweifellos religiösen Inhalts war, und blickte den Gast über den Rand seines eisernen Brillengestells hinweg missbilligend an. Er kaute eine Zeit lang auf den Lippen und sagte dann:
    »Sie hatten Besuch von einer Person.«
    »Was für eine Person?«, wunderte sich Lagrange.
    »Weiblichen Geschlechts«, teilte der Fastenbruder noch unfreundlicher mit. »Mit einem großen Hut und einem kleinen Netz vor dem Gesicht. Keine Pilgerin.«
    »Das war sie!«, erkannte Felix Stanislawowitsch, als er von dem »kleinen Netz« hörte. Sein tapferes Herz schlug schneller und heftiger.
    Wie hatte sie erfahren, wo er ab gestiegen war?
    Ach, gab der Polizeimeister sich gleich selbst die Antwort, die Stadt war klein, es gab nur wenige Hotels, und er war ein stattlicher Mann. Es dürfte nicht schwierig gewesen sein, ihn zu finden.
    »Wer war die Dame, kennst du sie?«, fragte er und beugte sich vor. »Wie heißt sie?«
    Er wollte sogar zehn oder auch fünfzehn Kopeken auf das Schreibpult legen, doch Stattdessen schlug er mit der Faust darauf.
    »Nun!«
    Der Diener warf einen respektvollen Blick auf die ausnehmend kräftige Faust, die Missbilligung in seinem Blick verschwand, und er schmückte seine Rede mit schönen Worten:
    »Das ist uns nicht bekannt. Wir haben sie in der Stadt schon gesehen, aber uns hat sie das erste Mal beehrt.«
    Das schien glaubwürdig – die wunderschöne, elegante Dame hatte in diesem Loch nichts verloren.
    »Sie hat Ihnen eine Notiz hinterlassen. Hier, bitte!«
    Der Oberst ergriff den schmalen verschlossenen Umschlag und roch daran. Er duftete nach einem würzigen, feinen Aroma, das Felix Stanislawowitschs Nasenflügel leicht erbeben ließ.
    Nur zwei Worte: »Mitternacht. Sinai.«
    Was hatte das zu bedeuten?
    Sein honigsüßes Herz sagte dem Polizeimeister sogleich: Das waren Zeit und Ort für ein Treffen. Nun, die Zeit war klar – zwölf Uhr null null. Aber was war »Sinai«? Offensichtlich eine Allegorie.
    Denk nach, befahl Lagrange sich selbst, nicht umsonst hat Seine Exzellenz der Gouverneur damals gesagt: »Ich bewundere die Schärfe Ihres Verstands, Oberst.« Vor allem war es nur noch eine Dreiviertelstunde bis Mitternacht!
    »Sinai, Sinai, erfahre wohl . . .« Nachdenklich sang Felix Stanislawowitsch eine Zeile aus dem Liedchen »Ein Bukett voller Liebe« vor sich hin.
    Der Diener, noch immer unter dem Eindruck der Faust des Polizeimeisters, fragte hilfsbereit:
    »Sie interessieren sich für den Sinai? Das ist verlorene Liebesmüh. Um diese Zeit ist dort niemand mehr. Die Nikolajewski-Klause ist geschlossen, vor morgen kommen sie da nicht rein.«
    Es stellte sich heraus, dass Sinai keineswegs, beziehungsweise nicht nur der heilige Berg war, auf dem

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