Pelbar 6 Das Lied der Axt
viele Kinder bekommen. Möget ihr Frieden finden und ein freundlicheres Land.«
Dardan und Orsel sahen sich an. Orsel lächelte, ihr Gesicht war noch immer schmutzig und naß von den Tränen. Sie drehten sich um und gingen davon, auf die anderen zu, die auf sie warteten, zusammen in einer Gruppe auf dem Boden hockend.
ELF
Nachdem die Flüchtlinge fort waren, zogen Tristal und Tor sechs Ayas weit nach Osten. Sie sorgten geschickt dafür, daß sie auf ihrem Weg keine Spuren hinterließen, und fanden schließlich ein kleines Labyrinth aus Felsen und Fichtenbäumen, wo sie sich nie-derlegten. Tristal hatte ein großes Stück Trockenfleisch dabei, das schnitten sie in drei Teile und kau-ten langsam. Raran nagte mit großem Behagen an ihrem Stück, blickte aber hinterher noch immer hungrig auf.
»Wir hätten auch lieber mehr, Mädchen«, murmelte Tor und fügte hinzu: »Tris, du schläfst als erster. Nach einer Weile bin ich dann an der Reihe.«
»Was dann?«
»Dann müssen wir ziemlich viel Abstand zwischen uns und diese Priester legen. Sie werden das nicht so leicht hinnehmen.«
»Ich meine, sie lassen uns in Frieden.«
»Psst. Da, schau!« Im Westen konnten sie hoch oben zwei Segler kreisen sehen, viel höher als die Eiswand, sie überschauten prüfend die Gegend.
»Haben sie uns gesehen?«
»Ich glaube nicht. Halt Raran fest! Rührt euch nicht und bleibt in Deckung! Ich werde achtgeben.«
Tristal glaubte nicht, daß er schlafen könne, solange die Flieger in der Nähe waren, aber bald sank er in einen unruhigen Schlummer und träumte von brök-kelndem und krachendem Eis. Tor sah den Seglern zu, die sich langsam nach Süden vorarbeiteten. Er spürte, wie die Erschöpfung in Wellen über ihn her-einbrach, wußte aber nicht sicher, ob sie echt oder auf den Einfluß der Priester zurückzuführen war. Er weckte Tristal am späten Nachmittag und legte sich selbst zwischen die Felsen. Kurz vor der Dämmerung fuhr er plötzlich aus seinem tiefen Dösen hoch und setzte sich auf.
»Was ist? Hörst du etwas?«
»Nein. Ich spüre es. Da ist jemand. Spann deinen Bogen! Wir müssen weg hier – nach Norden.«
»Direkt auf sie zu?«
»Das ist der einzige offene Weg.«
»Woher weißt du das? Ich kann nicht ...«
»Ich weiß es nicht. Sie schicken ihre Angst vor sich her. Ihren unruhigen Gesang. Spürst du überhaupt nichts?«
Tristal zögerte. »Nichts.«
Plötzlich spitzte Raran die Ohren und knurrte leise.
Tristal legte ihr die Hand auf den Rücken. Dann spannte er den Bogen. Immer noch müde begannen sie, nach Norden zu traben. Nach einiger Zeit hörten sie von Westen einen Schrei und dann von Süden her eine langgezogene Antwort. Die beiden Shumai be-schleunigten ihr Tempo noch mehr, liefen aber gleichmäßig weiter. Tristal spürte nun, wie Wellen von Entsetzen und Hoffnungslosigkeit an den Küsten seines Geistes leckten.
»Sie haben Priester dabei«, keuchte Tor. »Oder sie arbeiten von Sedge aus. Spürst du es?«
»Was?«
»Die künstliche Angst.«
»Die ist nur zu wirklich.«
»Sie ist nicht wirklich! Versuche, einen Winkel in drei gleiche Teile zu teilen!«
»Das kann ich nicht.«
»Noch nicht. Denk darüber nach! Mit aller Kraft!«
»Tust du das auch?«
»Nicht nötig. Ich lese im Geiste noch einmal eine der Rollen Avens – eine, die ich mit Celeste gelesen habe, als sie krank war.«
Tristal dachte zurück, konnte sich aber an nichts Bemerkenswertes aus der Pelbarschrift erinnern. »Ich arbeite an der Dreiteilung«, sagte er.
»Wir müssen in die Nacht hineinlaufen«, sagte Tor.
»Bis tief hinein.«
»Wohin?«
»In das verbotene Gebiet der Priester.«
»Dorthin! Warum? Dort sind wir nicht sicher.«
»Wir sind jetzt nirgends mehr sicher. Aber dort gibt es Vorräte. Und festeres Eis. Und wenn die Priester uns haben wollen ... – müssen sie den Jägern einiges erklären.«
»Das ist weit weg. Du meinst also, wir sollen ... auf das Eis gehen?«
»Dorthin werden sie uns nicht folgen.«
»Hoffentlich hast du recht.«
Die beiden rannten eine Zeitlang schweigend weiter, Raran an der Spitze. Zuerst hörten sie von ferne ihre Verfolger rufen, aber dann war es ihnen, als wa-teten sie völlig allein durch eine Welt von Gestrüpp, Gras und Inseln aus Nadelbäumen. Es war nervtö-
tend. Tristal spürte, wie eine ganze Reihe von Ängsten versuchte, sich seiner zu bemächtigen. Er wehrte sie ab, indem er sich durch eine Folge mathematischer Probleme arbeitete und versuchte, neue zu erfinden. Er
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