Pelbar 6 Das Lied der Axt
nachsehen?«
»Ach was. Jemand hat ihr eine Geschichte erzählt.
Von dieser Seite sind sie noch nie gekommen. Nie.
Und sie schicken keine kleinen Mädchen nach Hause, damit sie Geschichten erzählen.«
»Trotzdem ...«
»Ach, Randy. Da steckt sicher nichts dahinter. Ernest ist schon früher mit den Schäfern hinaufgegan-gen. Wir sind alle aufgeregt. Das hier ist die sichere Talseite. Wir wissen alle – das Eis dort hört niemals auf. Zu dieser Jahreszeit kommt man nicht einmal hinauf, weil auf der ganzen Fassade das Schmelzwasser herunterläuft. Und im Winter ... – wir haben au-
ßerdem fast schon Winter. Wie steht es mit dem Heu?«
»In drei Tagen ist alles drin, wenn der Schnee noch so lange ausbleibt. Ich habe ein Stück weit draußen über dem Eis schon welchen gesehen. Aber wir sind gut vorangekommen.«
»Gut. Nun ja. Ich mache mir Sorgen darüber, wie die neuen Holzfäller Elayna ansehen. Es gefällt mir nicht. Sie kommen aus dem Viertsektor, nicht wahr?
Verstehst du, was sie sagen?«
»Mehr als mir lieb ist. Ich werde mich darum kümmern, Herrin. Keine Angst.«
Aber Freifrau Frith Arbyr machte sich dennoch Sorgen, genau wie über Amis merkwürdig detail-lierten Bericht. Über diese Fremden, die gesehen zu haben sie behauptete. Als Unsit das Kind zu Bett brachte, kam sie in das Dachzimmer und setzte sich neben Ami auf einen Hocker. Unsit sang das Gebet mit ihr, knickste dann und ging.
»Wo hast du noch von solchen Männern wie diesen gehört, Kleines?«
»Habe nichts gehört. Ich habe mit ihnen gesprochen. Sie sind sehr nett. Der ältere hat mir Lieder vor-gesungen.«
»Was ist mit dem jüngeren?«
»Er war zu krank. Der ältere hat ihn gefüttert. Er hat ihm den Kopf gehalten. So.«
»Hat der jüngere etwas gesagt?«
»Nicht viel. Ich habe ihm mein Gedicht von dem Mann mit der riesigen Nase aufgesagt.«
»Ja. Hoffentlich hat es ihm gefallen.«
»Ja. Er hat noch mehr dazugedichtet.«
»Noch mehr?«
»Ja. Er hat es auch gesungen. Dann haben wir es alle gesungen. So oft, daß ich es mir gemerkt habe.
Glaube ich.« Sie dachte nach, dann lächelte sie. »Ja.
Die Riesennase wurd' so fett, daß der Mann umkippte wie ein Brett.
Seine Beine waren heil,
aber dürr wie zwei Pfeil,
sahen aus wie zwei Löffel im Fett.«
»Das ist sehr hübsch. Dürr wie ... was?«
»Man nennt es einen Pfeil – es ist wie ein langer Bolzen von Vaters Armbrust. Sie hatten einige davon.
Mit Federn an einem Ende und einer scharfen Spitze am ... was ist los? Sag doch!«
Die Freifrau war aus dem Dachzimmer hinaus und die Leiter hinuntergeeilt und dann in den Farmhof gelaufen. Es war völlig dunkel. Sie schaute hinauf zu den Wäldern in Richtung auf die ferne Eiswand. Der Wind war kalt. Sie preßte die Arme fest an den Körper und rannte hinüber zur Scheune. Der Fichtenwald lag dunkel und bis auf den kalten Wind still da.
Sie wirbelte herum und suchte die Gebäude nach Randall ab.
Als sie ein leises Geräusch hörte, drehte sie sich wieder um. Eine große Gestalt, von der Dunkelheit verschluckt, ragte vor ihr auf. Sie hielt den Atem an.
»Keine Angst«, sagte eine fremde Stimme. »Ich ha-be den Jungen gebracht. Ernest? Er schläft. Als es völlig dunkel wurde, bekam er Angst. Wir ließen das Feuer ausgehen.«
»Wer? Ernest? Wo?«
»Hier. Er sagte, er dürfe bleiben. Aber das hielt ich für unwahrscheinlich. Er sagte, er täte das oft. Ich heiße Tor. Wir sind über das Eis gekommen. Mein Neffe Tristal und ich. Und seine Hündin, Raran. Hier.
Er ist ziemlich klein. Kannst du ihn tragen?«
Sie rannte mit einem Schrei auf ihn zu. Ernest regte sich. Die beiden trafen zusammen. Sie roch Rauch und Schweiß, als er ihr den Jungen sanft auf die Schulter legte. Sie sahen sich an, soweit es die Dunkelheit zuließ.
»Ernest sagte, wir würden große Schwierigkeiten bekommen. Wegen des Tiers, das wir getötet haben.
Es tut mir leid. Wir werden es wiedergutmachen. Wir konnten nicht anders. Wir waren tagelang auf dem Eis und hatten nichts zu essen. Mein Name ist Tor, wie ich schon sagte. Ich bin ein Shumai und komme von weit her, aus dem Süden und Osten. Und du – du mußt die Freifrau Arbyr sein. So sagte Ernest doch?«
»Wie hast du ...?«
»Du bist die Mutter. Dienstboten kommen nicht in der Nacht heraus, um fremden Männern Kinder ab-zunehmen. Das tun Mütter.«
Freifrau Arbyr fühlte sich irgendwie sicher.
»Komm ins Haus!« sagte sie.
»Nein. Ich kann nicht. Aber vielen Dank. Tristal muß beobachtet
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