Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
knöpfe meine Jacke zu und
reibe mir die Arme. Zu dritt blicken wir eine lange Zeit schweigend auf die
Stelle, an der Mutter Agnes vor zwei Tagen so friedlich gelegen hat.
»Ich habe alles über Eiben nachgelesen«, bricht Hein schließlich die
Stille. »Als wir hörten, dass Mutter Agnes daran gestorben ist. Die Germanen
hatten für sie eine spezielle Rune, und der Weltenbaum war eigentlich gar keine
Esche, sondern eine Eibe. Überhaupt die Kelten – für die war die Eibe auch als
Totenbaum heilig. Und es gibt eine bretonische Sage, wonach aus dem Mund eines
jeden Toten eine Eibenwurzel wachse …«
Er bricht ab. Jupp hat sich am Fuße des Baumes niedergelassen und
weint lautlos vor sich hin. Hein kniet sich neben ihm nieder, nimmt ihn in die
Arme und wiegt ihn wie ein kleines Kind.
»Wein ruhig, mein Liebster, weine um deine Mama«, höre ich ihn
flüstern. »Sie hat sich ihren Tod selbst ausgesucht, und Katja hat recht: Du
hast ihr den größten Liebesdienst erwiesen, du hast sie frei gemacht. Wie die
Kraniche, die gestern fortgeflogen sind, war das nicht schön? So ist auch sie
in ein fremdes Land gezogen …«
Leise entferne ich mich. Linus, der die ganze Zeit über still neben
mir verharrt hat, als habe er begriffen, wie wenig jetzt ausgelassenes
Herumtollen am Platz ist, trottet mit gesenktem Haupt vor mir her. Ab und an
schnüffelt er an einem Drachenzahn, einem Höckerstein des früheren Westwalls.
Mutter Agnes hat ihren Frieden gefunden. Wie nach einer Beerdigung
habe ich das Gefühl, als sei heute etwas abgeschlossen worden.
Ich habe auch noch einiges abzuschließen. Mit Hein. Aber das
Cannabishühnchen werde ich später mit ihm rupfen. Und zwar so, dass die Federn
fliegen!
In der Einkehr hat sich Gudrun
zu meinem Entsetzen inzwischen den Keller vorgenommen. Regale, eingestaubte Marmeladengläser,
eine Batterie leerer Flaschen und Joghurtbecher, ein alter Polstersessel, aus
dem eine Metallfeder herauslugt, ein riesiger versiffter einäugiger Teddybär,
ein gelbes Waffeleisen aus den Sechzigerjahren, eine altmodische Höhensonne,
Teppiche, die bei Tageslicht ausgerollt wohl zu Staub zerfallen würden, Eimer mit
eingetrockneten Farbresten, ein Nierentischchen und leere Kartons stehen vor
dem Eingang des Hauses, das ich eigentlich in wenigen Wochen als Restaurant
eröffnen wollte. Wie nur hat es Gudrun geschafft, in so kurzer Zeit den ganzen
Krempel ans Licht zu holen? Da sind Kräfte am Werk gewesen, die mich schaudern
machen.
»Wir müssen die Kellerböden streichen!«, begrüßt sie mich. »Soll ich
gleich Farbe kaufen?«
»Wozu?«, frage ich entgeistert.
»Für Ordnung zu schaffen!«, erklärt sie und hebt das gelbe Waffeleisen
hoch. »Das können wir noch benutzen. Für belgische Waffeln zu machen. «
»Nee«, sage ich, »das macht viel zu dicke Dinger. Waffeln müssen in
einen Toaster passen.«
Oh, wie ich mir mit dieser Bemerkung selbst einen Stich versetze!
Irgendwo in mir schlägt wohl eine masochistische Ader.
»In einen Toaster?«, wiederholt Gudrun verständnislos. »Waffeln? Das
gehört sich aber gar nicht! Waffeln müssen dick sein. Was für eine Farbe holen
wir jetzt für den Fußboden?«
»Gar keine«, gebe ich zurück. »Gudrun, hör auf zu arbeiten! Das
bringt doch nichts.«
»Sieht besser aus als vorher«, gibt sie zurück, »oder nicht?«
Das Chaos vor der Tür der Einkehr passt
vorzüglich zu dem in meinem Kopf. Es muss dringend aufgeräumt werden.
»Ich helfe dir jetzt, alles wieder in den Keller zurückzutragen«,
sage ich. »Hans-Peters Frau ist wieder aufgetaucht.«
Bei meinem ersten Satz hat Gudrun die Hände zum Protest erhoben;
beim zweiten erstarrt sie wie Lots Frau. Ihr Mund bleibt so lange offen stehen,
dass ich schon eine katatonische Störung befürchte. Dann erschlafft der ganze
Körper. Gudrun sinkt auf den Stufen der Einkehr nieder, schüttelt den Kopf, räuspert sich und fragt fast zaghaft:
»Hat sie den Mord gestanden?«
»Natürlich nicht!«, fahre ich sie an, was mir augenblicklich
leidtut. »Wir wissen doch überhaupt noch nicht, ob es Mord war.«
»Wo ist die Frau?«
»In Kronenburg. Im Burghaus.«
»Und Vinzenz?«
»Soweit ich weiß, ist er noch bei der Anneliese. Frau von
Krump-Kellenhusen wird jetzt anderes zu tun haben, als sich um ein Kleinkind zu
kümmern.«
»Aber du weißt es nicht genau?«
Ich schüttele den Kopf. Gudrun steht auf, bindet sich die Schürze
ab, faltet sie sorgfältig zusammen und legt sie auf den kaputten
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