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Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Titel: Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Mann nicht sagen
können. Das ist auch gleichgültig.«
    Ich will nach dem Zettel greifen. Victor zieht die Hand mit dem
Papier durch die Luft.
    »Erst bitte ich dich, mir eine Frage zu beantworten.«
    »Nur zu«, sage ich.
    »Bist du ihre Schülerin?«
    Ich starre ihn ungläubig an.
    »Wie bitte?«
    »Sie ist die Meisterin«, sagt er leise, »die dir im Funken der
ursachlosen Seligkeit deine wahre Natur zeigen kann, wenn du bereit dafür bist,
ihr zu folgen. Sie lehrt durch die Freiheit, die sie selbst lebt …«
    »Gestern war sie noch ein Zugvogel«, unterbreche ich, bevor er zu
einem langen Monolog ansetzen kann. Coras Heiligkeit interessiert mich nicht.
Ich möchte lesen, was auf dem Zettel steht.
    »Das war für den belgischen Staat«, erwidert er ungerührt. »Ich
möchte keine Schwierigkeiten mit den Autoritäten. Anderslebende werden hier wie
überall misstrauisch beäugt und gelegentlich weggesperrt. Ich will nicht
erleben, dass mich meine Kinder mal hinter Gitterstäben sehen müssen.«
    Würde ein ganz schönes Gedränge im Gefängnis geben, denke ich und
stelle eine Gegenfrage: »Was verbindet dich mit Cora?«
    Er schweigt erstaunlich lange. Sagt dann: »Sie wurde von meinem
Lehrer gesegnet, dem einzig wahren Meister. Sie war seine beste Schülerin und
macht ihm Ehre.«
    »Du hast einen Meister über dir?«
    »Nicht über mir. Er geht mir voran. Wie auch Cora mir vorangeht.«
    »Wie kann das sein, wenn ihr doch beide seine Schüler seid?«, lasse
ich mich wider Willen auf dieses Gespräch ein.
    »Sie hat Jahre bei ihm gelebt. In Nepal …«
    »Etwa bei diesem Ali Baba, der aus Asche Geld macht?«, unterbreche
ich, weil mir eine Fernsehsendung einfällt, die ich vor wenigen Wochen gesehen
habe.
    »Du meinst Sathya Sai Baba«, entgegnet Victor müde, »diesen
zaubernden Scharlatan. Nein, ich spreche von meinem Meister. Leider hatte ich
nur einen Sommer lang die Ehre, bei ihm zu lernen.«
    »Er hat bestimmt auch eine Menge von dir gelernt«, mache ich ein
Kompliment, um endlich an den Zettel zu gelangen. Aber der Schuss geht nach
hinten los. Victor händigt ihn mir nicht aus.
    »Du bist nicht ihre Schülerin«, sagt er vorwurfsvoll, als hätte ich
ihn betrogen. »Dein Unwissen und deine westliche Einstellung verraten dich. Ein
Meister, der von seinen Schülern lernt, ist keiner. Es liegt in der Natur eines
jeden wahren Meisters, seinen Schülern in allem mindestens einen Schritt voraus
zu sein.« Ein tiefer Seufzer und ein zweifelnder Blick. »Cora wird wissen,
weshalb ich dir dieses Papier geben soll. Es ist mir unbegreiflich, dass sie
gerade dich erwählt hat, aber ich habe noch viel von ihr zu lernen.«
    Er betrachtet den Zettel noch einmal, als falle es ihm schwer, sich
von ihm zu trennen, drückt ihn mir in die Hand und wendet sich ohne Abschied
wieder den Toraufbauern zu.
    Es ist kein Brief. Dennoch verstehe ich die Nachricht auf der
herausgerissenen Buchseite. Eine Textstelle ist schwarz unterstrichen:
    Warte da auf mich, wo Chrysanthemen welken.
    Normalerweise wäre das wohl ein Friedhof. Der Platz unter der Eibe
kommt einer solchen Stätte nahe. Ich mustere das Papier genauer, aber ein
Zeitpunkt ist nicht angegeben.
    »Victor!«
    Unwillig wendet er sich mir wieder zu. »Hat sie dem Mann gesagt,
wann ich da sein soll?«
    Er lacht.
    »Du kennst sie doch«, antwortet er fröhlich. »Sie wird das Jetzt
meinen, die einzige Zeit, die uns zur Verfügung steht.«
    Wie schnell kann sie zu Fuß von Krewinkel in den Wald auf der Kehr
kommen? Sofern sie nicht über die besondere Gabe des Fliegens verfügt, die
möglicherweise nicht nur Zugvögeln, sondern auch wahren Meistern zu eigen ist.
    Ohnehin geht Cora davon aus, dass ich vor ihr da bin: Warte da auf mich, wo Chrysanthemen welken. Damit sie mich
dort umbringen kann? Oder Gaby, an die der Brief ja auch adressiert ist. Oder
uns beide.
    Sie wird mich nicht zwingen können, Eibennadeln zu essen oder Taxin
zu inhalieren. Die Masse, die ich dieser mageren Kreatur mit meinem Leib
entgegensetze, wird sie auch daran hindern, mich in die Bunkerschlucht zu
stoßen oder mich auf andere Weise körperlich zu überwältigen. Und gegen Hypnose
oder irgendwelche Psychotricks bin ich mit meinem Verstand ausreichend gewappnet.
Ich habe nicht die geringste Angst, bin nur der Neugier voll, als ich mich
wieder neben Linus ins Auto setze. Was aber, wenn Marcel und Josef noch da
sind, weil sie Gaby an der Eibe gefunden haben? Ich muss die Möglichkeit in
Betracht ziehen, dass

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