Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
darauffolgenden unmittelbar bevorstehenden
Tod völlig normal und in Ordnung.
Was macht es schon aus, dass ich nicht aufstehen kann? Ich habe mich
noch nie gern bewegt. Ihr Körper verordnet Ihnen Sport. Dieser
Behauptung meines Berliner Hausarztes würde mein Körper jetzt vehement
widersprechen, wenn mein Hirn nicht viel zu träge wäre, dies an meinen Mund
weiterzuleiten. Ach, ist das schön, hier einfach im Wald unter dem mörderischen
Baum zu liegen, herumtanzende weiße Pollen zu beobachten und sich nicht darüber
zu wundern, dass die Bäume im Oktober wieder blühen. Ist das schon der erste
Einblick ins Paradies?
Wenn dies der Tod ist, kann ich damit leben. Weshalb macht man so
viel Gewese darum? Ist doch gar nicht schlimm. Auch wenn es von Cora nicht nett
war, mir Eibengift zu injizieren.
»Wie lange habe ich noch?«, frage ich. Eigentlich ist mir das ganz
gleichgültig, aber da ich noch der Sprache mächtig bin, halte ich ein bisschen
Neugier für angemessen. Außerdem möchte ich nicht ohne ein letztes Wort aus
diesem Leben scheiden. »Licht, mehr Licht«, soll Goethe auf dem Sterbebett
gerufen haben. Damit ist diese Formulierung schon besetzt. Außerdem will ich
keinesfalls mehr Licht. Die Waldesdämmerung, der Blütenregen und die luftigen
Nebelschleier passen zu meiner Stimmung und einem würdigen Ableben. Ach, was
soll ich mir über einen klugen letzten Spruch den Kopf zerbrechen! An Cora wäre
er doch nur verschwendet.
»Das weiß ich nicht. Ich bin nicht Gott«, erwidert Cora.
»Aber du spielst ihn«, sage ich und merke selbst, wie ich die Worte
Gaby-mäßig hinhauche. »Mit der Spritze. Du bist böse, Cora. Du hast mich
vergiftet.«
Cora bricht in ihr unbekümmertes lautes Igelfrau-lachen aus und
klopft mir kräftig auf die Schulter. Bitte nicht so grob, mit Sterbenden soll
man sanft umgehen. Ich mag jetzt keine laute Stimme, keine derbe Berührung und
kein gleißendes Licht. Ich möchte den Frieden meiner letzten irdischen Minuten
genießen. Gleich werde ich wissen, ob es ein Leben danach gibt. Und falls ja,
ob ich mich vor dem Jüngsten Gericht verantworten muss.
»Was du nur denkst, Katja! Soweit ich weiß, ist noch kein Mensch an
einer solchen Dosis Diazepam gestorben.«
»Diathe…«
Ich bekomme das Wort nicht heraus.
»Diazepam.«
»Diathepam, aha.« Weshalb nur lispele ich plötzlich?
»Ganz harmlos. Sonst hätte es mir der Arzt doch nicht verschrieben.«
»Warum?«
»Es hilft vorzüglich gegen Panikattacken und gegen andere Episoden
meiner Erkrankung.«
Ihre Erkrankung interessiert mich nicht.
»Und warum ich?«
»Zu deiner Entspannung, Katja. Zu deinem Schutz.«
»Wietho Thut-th? Wath tholl mir denn pathieren?« Der S-Laut will mir
nicht über die Lippen kommen. Auch egal. Sie versteht mich schon. Das ist auch
gut so. Denn ich habe noch eine Menge Fragen an sie. Welche eigentlich? Da war
doch was. So wichtig kann es nicht gewesen sein, sonst hätte ich es nicht
vergessen.
»Ich muss dich vor Gaby verstecken. Sonst tötet sie dich auch noch.«
Gaby. Richtig. Die gibt es. Dunkelrote Haare. Die Mörderin. Hat
Marcel auch gesagt. Und Gudrun. Na also, einiges in meinem Kopf funktioniert
noch ganz passabel, das ist sehr beruhigend.
»Wo itht thie jet-th, die Gaby?«
»Sie tötet gerade deinen Marcel.«
»Marthel?«
»Ja, und den anderen Mann, den er bei sich hat.«
Marcel hat einen Mann bei sich?
»Marthel ith nicht thwuhl«, protestiere ich. »Du meintht Hein. Und
Jupp.«
Cora nickt zustimmend.
»Schön, dass das auch geklärt ist«, sagt sie, als hätte ich bei
einer Prüfung die richtige Antwort gegeben. »Dann können wir ja jetzt über
Essen sprechen.«
Die Idee gefällt mir, auch wenn ich ausnahmsweise mal nicht hungrig
bin. Aber auf eine süße Henkersmahlzeit hätte ich schon Lust. Nur was?
Klassische Nachspeisen sind eigentlich nicht mein Fall, da ich Süßes gern mit
Herbem, Saurem oder Pikantem mische. Ich habe doch ein Restaurant, oder nicht? Umkehr? Rückkehr? Nein, es heißt anders. Ist es eigentlich
schon eröffnet? Oder ist mir schon wieder etwas dazwischengekommen? Egal. Ich
kann mich an die Speisekarte nicht erinnern, aber ich weiß, dass ich mich immer
um die Desserts herumgedrückt habe. Welches Gericht habe ich eigentlich als
Letztes ersonnen?
»Woran denkst du?«, fragt Cora munter und kneift mich in den
Unterarm. Was überhaupt nicht wehtut.
Das Sprechen fällt mir schwer. Aber vielleicht kann mir die Igelfrau
helfen; sie ist doch grad erst im
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