Pendergast 02 - Attic - Gefahr aus der Tiefe
sahen den Menschen nicht mehr als die Apotheose der Evolution an, sondern als das Ende eines kleinen, nicht allzu spezialisierten Seitenzweigs der Säugetiere.
Margo blickte hinauf zu dem Projektionsfenster an der hinteren Wand. Die ehrwürdige Halle war im Lauf der Jahre zu einem Vortragssaal mit versenkbaren Tafeln und Filmleinwänden umgebaut worden. Kürzlich war sogar eine hochmoderne computergesteuerte Audivisionsanlage dazugekommen.
Zum hundertstenmal an diesem Tag fragte sich Margo, wer wohl die Informationen über die am Museum durchgeführten Untersuchungen an die Presse weitergegeben hatte. Wer auch immer es gewesen sein mochte, er hatte offenbar nicht alles gewußt, denn sonst hätte der Artikel bestimmt die grotesken Deformationen am zweiten Skelett erwähnt. Aber auch so war das, was an die Öffentlichkeit gedrungen war, schon mehr als genug. Obwohl sie insgeheim froh war, daß sie sich nun nicht mehr für Smithback stark machen mußte, bereitete ihr das, was sie inzwischen über die Bißspuren an den Knochen herausgefunden hatte, große Sorgen.
Mit unguten Gefühlen sah sie dem Eintreffen der Leiche von Nicholas Bitterman entgegen. Sie hatte Angst, daß auch sie derartige Spuren aufweisen würde.
Ein lautes, brummendes Geräusch riß Margo aus ihren Gedanken. Vor der Bühne glitt eine riesige Projektionsleinwand von der Decke herab.
In der für zweitausend Besucher ausgelegten Halle befanden sich genau sieben Menschen: Mehrere Reihen vor Margo saßen Lieutenant D'Agosta und ein fülliger Polizei-Captain in verknitterter Uniform zusammen mit zwei gelangweilt dreinblickenden Detectives von der Mordkommission. Und neben ihr summte Dr. Frock eine Melodie aus einer Wagner-Oper und trommelte auf den abgeschabten Armlehnen seines Rollstuhls mit seinen dicken Fingern den Takt dazu. Obwohl sein Gesicht äußerlich keine Regung zeigte, wußte Margo, daß er innerlich vor Wut kochte. Als Chef der Gerichtsmedizin durfte Dr. Brambell jetzt auf dem Podium stehen und die Ergebnisse der Untersuchungen präsentieren. Frock hatte sich damit einverstanden erklärt, aber Margo wußte genau, wie sehr ihn das wurmte.
Inzwischen waren die Lichter in der Halle ausgegangen, so daß Margo nur noch Brambells leichenhaft blasses Gesicht sehen konnte, das von der kleinen Lampe am Vortragspult gespenstisch erhellt wurde. In einer Hand hielt Brambell eine Fernbedienung, mit der er die Diavorführung steuern konnte, in der anderen einen Laserzeiger. »Ich finde, wir sollten gleich in medial res gehen und uns ein paar Dinge ansehen«, sagte Brambell in seiner hohen, fröhlichen Stimme, die gleichzeitig aus den vielen Lautsprechern an den Wänden der Halle ertönte. Margo hörte, wie Frock neben ihr verärgert in seinem Rollstuhl herumrutschte.
Auf der Leinwand erschien das stark vergrößerte Bild eines Knochens, das die Halle und ihre wenigen Besucher in ein hellgraues Licht tauchte.
»Dieses Foto zeigt Pamela Wishers dritten Halswirbel, auf dem Sie unschwer die deutlich sichtbaren Zahnspuren erkennen können.«
Nachdem Brambell mit dem roten Punkt des Laseranzeigers die betreffenden Stellen bezeichnet hatte, schaltete er den Projektor weiter.
»Hier sehen Sie eine dieser Spuren in zweihundertfacher Vergrößerung. Und das hier ist ein Querschnitt, an dem gut zu erkennen ist, daß der Biß vom Zahn eines Säugetiers stammt.«
Die nächsten Dias zeigten Diagramme, auf denen die zur Erzielung der jeweiligen Bißtiefe nötige Kraft dargestellt wurde. »Wie Sie sehen, war zum Erzeugen der tiefsten Spuren ein Druck von etwa fünfunddreißig bis fünfundsechzig Kilopond pro Quadratzentimeter nötig, was sich gravierend von den fünfundachtzig Kilopond pro Quadratzentimeter unterscheidet, von denen wir zunächst ausgegangen waren.«
Von denen du zunächst ausgegangen warst, dachte Margo.
»Wir haben an den Knochen der beiden Opfer insgesamt einundzwanzig Biß- oder Kratzspuren gefunden, die ohne jeden Zweifel von Zähnen herrühren«, fuhr Brambell fort.
»Außerdem gibt es Spuren, die vermutlich mit einem stumpfen Gegenstand verursacht wurden. Sie sind zu regelmäßig, um von Zähnen zu stammen, aber zu rauh, als daß es sich um Schnitte mit einem gut geschliffenen Messer handeln könnte. Wir glauben, daß sie möglicherweise aufden Gebrauch einer primitiven Axt oder eines Steinmessers hindeuten. Diese Spuren finden sich hauptsächlich an den Halswirbeln, was vielleicht auch ein Hinweis darauf sein könnte, wie die Opfer
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