Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
dem düsteren alten Haus herumzustöbern. Denn wenn erst mal die Polizei eingeschaltet war und alles durchsuchte, bekam er dazu bestimmt keine Gelegenheit mehr.
Er warf einen Blick nach oben. Von seiner Exkursion mit Nora in die Cañons von Utah hatte er einige Erfahrung im Felsklettern. Er trat zwei, drei Schritte zurück und suchte die Hausfassade ab. Es gab jede Menge Simse und Verzierungen, an denen er Halt finden konnte; von der Straße aus hatte er das nicht so deutlich erkennen können. Mit ein bisschen Glück musste er es schaffen, sich bis zu einem der Fenster im ersten Stock hochzuarbeiten.
Was war schon dabei? Er wollte ja nicht einbrechen, nur maleinen Blick durch die Scheibe werfen. Er drehte sich um und suchte die Umgebung ab. Überall Friedhofsstille, nirgendwo rührte sich etwas, nicht mal vorne auf der schmalen Straße. Er rieb sich die Hände, bis sie schön geschmeidig waren, dann stemmte er die Spitze des linken Schuhs in eine Vertiefung und fing zu klettern an.
2
Captain Custer schielte auf die Wanduhr in seinem Dienstzimmer. Gott sei Dank, gleich Mittag! In seinem Magen rumpelte es wie Donnergrollen, er wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich in
Dilly’s Deli
vor einer doppelten Portion Cornedbeef und einem Sandwich mit Schweizer Käse und Majonäse zu sitzen. Nervosität löste bei ihm immer Hungergefühle aus, und heute war er nervös, verdammt nervös sogar.
Nicht mal achtundvierzig Stunden war es her, dass der Commissioner ihn mit den Ermittlungen zu den so genannten »Chirurgen«-Morden betraut hatte, und schon klingelte alle naslang das Telefon. Der Bürgermeister, der Commissioner – jeder wollte von ihm Neuigkeiten hören. Die drei Morde hatten die ganze Stadt in Unruhe versetzt, man konnte fast schon von Panik reden. Aber woher sollte Custer nach achtundvierzig Stunden bahnbrechende neue Erkenntnisse nehmen? Aber so lief das eben, die Zeitungsartikel über die Leichenfunde in der Doyers Street hatten ihm eine kurze Atempause verschafft, und jetzt war die Schonfrist vorüber, alle wurden wieder ungeduldig. Dabei arbeiteten sage und schreibe fünfzig Detectives an dem Fall und gingen jeder noch so vagen Spur nach. Nur, gebracht hatte es bisher nichts, das musste Custer einräumen. Er knurrte wie ein gereizter Kettenhund. Lauter Nichtskönner und Versager! Und sein Magen knurrte prompt mit.
Es war zum Mäusemelken, alle übten Druck auf ihn aus. Erfühlte sich wie einer, der im Dampfbad schwitzt und kein Handtuch hat. Wenn das bei der Bearbeitung von Mordfällen jedes Mal so war, konnte er getrost darauf verzichten.
Wieder ein Blick auf die Uhr. Noch fünf Minuten. Den Lunch nie vor zwölf Uhr einzunehmen war für ihn eine Frage der Selbstdisziplin. Und Disziplin war nun mal für einen Dienststellenleiter oberstes Gebot. Ein Police Officer darf sich nicht gehen lassen.
Er hatte noch im Ohr, was Rocker in der Doyers Street zu ihm gesagt hatte. »Ich erwarte, dass Sie sich mit aller Energie den neuen Morden zuwenden. Knien Sie sich richtig rein, fassen Sie den Mörder!« Der Commissioner wusste eben, was er von einem Mann mit seinen Fähigkeiten erwarten durfte. Der Minutenzeiger rückte einen Strich vor.
Vielleicht muss ich noch mehr Männer auf die drei Mordfälle ansetzen?, überlegte Custer. Vor allem bei dem Mord im Archiv des Museums konnte eine personelle Aufstockung nichts schaden. Der Museumsmord war nun mal der jüngste, also konnten sie bei ihm am ehesten auf frische Anhaltspunkte hoffen. Diese Archäologin, die die Leiche des Archivars gefunden hatte – ein kühles Luder, wie hieß sie noch mal? –, war ziemlich zugeknöpft gewesen. Wenn er sie dazu bringen konnte …
Und plötzlich – genau in dem Augenblick, als der Sekundenzeiger auf die Zwölf rutschte – kam ihm ein Geistesblitz.
Das Museum. Das Archiv. Die Archäologin …
Es war so nahe liegend, so überzeugend, dass es den Gedanken an das Cornedbeef verdrängte. Fürs Erste zumindest.
Er ging in Gedanken die Argumente durch, die dafür sprachen, das Museum zum Schwerpunkt der Ermittlungen zu machen.
Ad eins, die beiden ersten Morde waren in der Nähe des Museums begangen worden, für den dritten Mord hatte der »Chirurg« sich das Museum sogar als Tatort ausgesucht.
Ad zwei, diese Archäologin (jetzt fiel’s ihm wieder ein: Nora Kelly hieß sie) arbeitete im Museum.
Ad drei, der Brief, durch den Leng belastet wurde, war im Archiv des Museums gefunden worden. Wobei die Frage offen blieb, wie
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