Pendergast 05 - Burn Case - Geruch des Teufels
zurückziehen, Vincent? Sozusagen zu einem stillen Gedenken?«
D’Agosta stand noch ganz unter dem Eindruck des entsetzlichen Anblicks, den sie am Tatort vorgefunden hatten, er nickte nur benommen. Ja, dachte er im Stillen, ja, die Kapelle. Eine gute Idee. Eine sehr gute Idee. Die Hauskapelle, im Anschluss an den Salon gelegen, war ein kleines Barockzimmer, gerade mal groß genug, um einen Priester und ein halbes Dutzend Familienmitglieder aufzunehmen. Einen Lichtschalter konnte Pendergast nicht entdecken, offenbar war die Kapelle nicht ans Stromnetz angeschlossen. Er zündete eine Votivkerze an und winkte D’Agosta, neben ihm auf der harten Holzbank Platz zu nehmen.
D’Agosta hielt den Blick fest auf den Altar gerichtet. Viel Andacht konnte er jedoch unter den gegebenen Umständen nicht aufbringen. Türen knallten. Durch das Haus hallte das Echo schwerer Schritte, mehrere Funkgeräte plärrten lautstark durcheinander. D’Agostas Finger umklammerten immer noch sein Kreuz. Die Kerze flackerte. Der Geruch nach Weihrauch hing schwer in der Luft. Er widerstand dem Impuls, auf die Knie zu fallen, und sagte sich immer wieder, dass er als Polizist am Ort eines Verbrechens war. Der Gedanke, dass der Teufel sich Bullard geholt haben könnte, war aberwitzig.
Und doch, hier in der weihrauchgeschwängerten Dunkelheit der Kapelle erschien es ihm absolut wahrscheinlich. Urplötzlich wurde es still, die Carabinieri waren offenbar in den großen Salon vorgedrungen. Jemand sog scharf die Luft ein, ein anderer murmelte etwas, es hörte sich an wie ein Gebet. Dann folgten die vertrauten Geräusche vom Absichern eines Tatorts. Scheinwerfer wurden in Position gebracht. Nur Sekunden später war der Salon in gleißendes Licht getaucht. Ein Scheinwerferstrahl drang in die Kapelle und erfasste den marmornen Jesus am Kreuz hinter dem Altar. Im Türrahmen konnten Pendergast und D’Agosta blinzelnd die Umrisse eines Mannes ausmachen, der keine Uniform, sondern einen maßgeschneiderten grauen Anzug trug und eine Pistole auf sie gerichtet hatte.
» Rimanete sedervi, mani in alto, per cortesia! « , befahl er ruhig.
»Bleiben Sie sitzen und halten Sie die Hände so, dass ich sie sehen kann«, übersetzte Pendergast für D’Agosta.
» Tacete! « , fuhr der Mann im grauen Anzug dazwischen. Plötzlich wurde D’Agosta klar, welch verdächtigen Eindruck sie in ihrer schwarzen Kleidung und mit den Farbresten im Gesicht machen mussten.
Der Mann trat in die Kapelle. Er hatte seine Waffe immer noch auf sie gerichtet. »Wer sind Sie?«, fragte er sie auf Englisch mit leichtem italienischen Akzent.
»Special Agent Pendergast, Federal Bureau of Investigation, United States of America.« Der Agent zückte sein Ledermäppchen und klappte es so auf, dass sowohl der Dienstausweis wie die Plakette zu sehen waren.
»Und Sie?«
»Sergeant Vincent D’Agosta, Police Department Southampton, zurzeit zum FBI abgestellt. Wir …«
» Basta! « , fiel ihm der Mann im grauen Anzug ins Wort, ging zu Pendergast, studierte gewissenhaft dessen Legitimation und fragte schließlich: »Haben Sie die Mordkommission informiert?«
»Ja.«
»Was tun Sie hier?«
»Wir ermitteln in den USA wegen einer Serie von Mordfällen, in die der Tote, den Sie im Salon vorgefunden haben, verwickelt war.«
»Die Mafia?«
»Nein.«
Der Mann war sichtlich erleichtert. »Sie kennen die Identität des Toten?«
Pendergast nickte. »Locke Bullard.«
Der Mann im grauen Anzug gab Pendergast das Mäppchen zurück und deutete fragend auf sein ungewöhnliches Outfit.
»Ist das die neue Dienstkleidung des FBI?«
»Dazu müsste ich Ihnen eine lange Geschichte erzählen, Colonnello.«
»Wie sind Sie eigentlich hierher gekommen?«
»Mit einem schwarzen Fiat Stylo. Vielleicht haben Sie den Wagen bei Ihrer Ankunft gesehen, er steht bei dem Olivenhain an der Zufahrtsstraße. Ich werde Ihrer Dienststelle natürlich einen vollständigen Bericht über die Ereignisse zuschicken.«
»Um Himmels willen, tun Sie das nicht! Ich hasse diesen ganzen Papierkram, er macht die Dinge so kompliziert. Es ist mir lieber, wenn wir das nach Art gesitteter Leute bei einem Kaffee besprechen. Übrigens – ich bin Colonnello Orazio Esposito. Ich hoffe, Sie sehen es mir nach, dass ich unter den gegebenen Umständen bisher keine Gelegenheit hatte, mich vorzustellen.«
Sie gaben sich die Hand, und als der Colonnello aus dem gleißenden Scheinwerferlicht trat, konnte D’Agosta ihn zum ersten Mal deutlich
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