Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
Augen führen … von Vater zu Sohn, etwas, worauf ich mich schon so lange freue.« Und er lächelte recht freundlich.
37
O hne sich zu bewegen, schauten sie einander im Halbdunkel an. Pendergast stand da und atmete durch. Erst jetzt ging ihm auf, dass er noch nie im Leben so gründlich und schnell überwältigt worden war. Dadurch, dass er stehen geblieben war, als wollte er warten, bis sein Verfolger ihn einholte, hatte Alban ihn total überrascht. Und dann hatte er in Sekundenschnelle einen Hinterhalt gelegt und mit bemerkenswertem Erfolg durchgezogen.
Während er seinen Sohn im Blick behielt, bürstete er sich ab, wartete darauf, dass Alban etwas sagte, wartete auf seine Gelegenheit. Er hatte noch eine zusätzliche Handfeuerwaffe und mehrere andere Waffen am Mann. Diesmal würde Alban ihm nicht entkommen.
»Erstaunlich, nicht wahr?«, sagte Alban. »Hier stehen wir einander gegenüber, von Angesicht zu Angesicht.« Seine Stimme klang melodisch und abgeklärt. Anders als sein Bruder hatte er nicht die Spur eines Akzents, sprach aber mit der leichten Übergenauigkeit von jemandem, für den Englisch eine Zweitsprache war. »Es war meine Bestimmung, mit dir zusammenzutreffen. So wie alle Söhne ihren Vätern gegenübertreten müssen.«
»Und was ist mit ihren Müttern?«, fragte Pendergast.
Die Frage schien Alban nicht zu überraschen. Er fuhr fort: »Der Test ist in seine entscheidende Phase eingetreten. Übrigens, erlaube mir, dir ein Kompliment zu machen, wegen der Art, wie du mein kleines Rätsel gelöst hast. Und dass ich Zweifel hatte, dass du es lösen würdest … dafür entschuldige ich mich.«
»Du redest gern«, sagte Pendergast. Aus dem Augenwinkel sah er das Schimmern seiner 45er im Unkraut, ungefähr drei Meter links von sich.
Alban lachte. »Ja, das stimmt.« Er trat einen Schritt nach rechts, dann noch einen, wodurch er Pendergast den Zugriff zur Waffe versperrte. Alban war erst fünfzehn, wirkte aber viel älter – groß, äußerst fit, kräftig und windhundschnell. Ob er wohl in Kampfsportarten ausgebildet worden war? Wenn ja, dann würde er ihn in einem Kampf kaum besiegen können.
»Warum –?«
»… ich töte? Wie gesagt, es ist ein Test.«
»Erzähl mir –«
»Von dem Test? Es ist ganz einfach. Zumindest teilweise geht es darum, festzustellen, wer der bessere Mann ist: du oder ich.« Er streckte Pendergast die Arme entgegen und zeigte seine Handflächen. »So wie du bin ich unbewaffnet. Hier stehen wir nun, gleichauf. Es ist zwar nicht ganz fair, weil du alt bist und ich jung. Und deshalb räume ich dir ein Handicap ein.«
Pendergast spürte, dass sein Moment kam, ein Zeitfenster, in dem er handeln konnte. Er bereitete sich mental darauf vor und stimmte seine Handlungen in Gedanken ab. Dann aber, nur Sekunden, bevor er in Aktion trat, riss Alban mit der ausgestreckten Hand an seiner Jacke und nahm ihm in einer verblüffend schnellen Bewegung seine Reservewaffe ab. Das geschah so schnell, dass Alban bereits im Besitz der Waffe war, als Pendergast gerade reagierte.
»Hoppla.« Alban betrachtete die Waffe – eine Walther PPK, Kaliber 32 – und schnaubte verächtlich. »Also das ist eine Seite an dir, auf die ich nicht gekommen wäre. Sind wir ein Romantiker, Vater?«
Pendergast wich einen Schritt zurück, aber noch währenddessen trat Alban vor, so dass die Entfernung zwischen ihnen unverändert zwei Meter betrug. Er hielt weiterhin die Walther in der Hand, den Daumen auf dem Sicherheitsbügel.
»Worin besteht dieser Test?«, fragte Pendergast.
»Ah! Das ist tatsächlich der Kern der Sache. Warum mich mit dir messen? Was für eine seltsame Sache. Und doch, so viel hängt davon ab –« Plötzlich hielt Alban inne und trat einen Schritt zurück; seine arrogante Selbstsicherheit geriet ins Wanken.
»Ist das der Grund, warum du –«
»… ich das hier Betatest genannt habe? Ja.« Nach einem Augenblick entspannte er sich und lächelte wieder. Dann zog er das Magazin aus der Walther, drückte die Patronen mit dem Daumen heraus, eine nach der anderen, bis sich nur noch eine im Magazin befand. Er steckte das Magazin zurück an seinen Platz, lud durch und löste den Sicherheitsriegel. Mit dem Griff nach vorn gab er Pendergast die Waffe zurück.
»Da. Dein Handicap. Eine Patrone in der Kammer. Jetzt bist du im Vorteil. Mal sehen, ob du mich fassen und abführen kannst. Mit einer einzigen Patrone.«
Pendergast richtete die Pistole auf Alban. Er wollte – konnte – ihn nicht
Weitere Kostenlose Bücher