Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
Mann einen Schritt vor und streckt die Hand aus, um nach den Papieren zu greifen. Aber verborgen in deren Falten, darin eingeschlossen, liegt ihre Dose Pfefferspray, die sie vom Boden aufgehoben hatte, als sie die Dokumente zusammensammelte. Während sie nach unten blickt und nach dem Bündel greift, sprüht sie ihm mitten ins Gesicht.
Einen unartikulierten Schrei ausstoßend, taumelt der Mann nach hinten, die Pistole fällt zu Boden, während er die Hände vors Gesicht schlägt und die Papiere durch die Luft segeln. Sie hebt sie wieder auf, kickt die Pistole zur Seite und spurtet zur Tür, läuft durch den altarähnlichen Raum hinter der Treppe und rennt hinunter in den zweiten Stock, wobei sie drei Stufen auf einmal nimmt und der schwere Rucksack ihr wie ein Mühlstein auf den Schultern liegt. Und dann, auf einmal, setzt es ein: das Gefühl des Schwebens, der Schwere in den Beinen, des Halb-Gelähmtseins. Von oben an der Treppe hört sie barsche Worte, deutsch, kehlig, schwere Schritte.
Sie läuft an der Fälscherwerkstatt vorbei, vorbei an den Schlafzimmern, wobei sie hinter sich immerzu das Geräusch der schweren Schritte des Mannes hört. Dann rennt sie hinunter in den ersten Stock, keuchend vor Anstrengung, immer noch auf merkwürdige Weise langsam wie eine Schnecke, wie gelähmt vor Furcht, aber sie schafft es bis zur Haustür, packt den Griff.
Abgeschlossen. Und alle Fenster im ersten Stock sind vergittert.
Als sie sich umdreht, löst sich hinter ihr ein Schuss, die Kugel reißt einen Splitter aus dem Türrahmen. Sie stürmt ins Wohnzimmer und zwängt sich hinter einen großen Vitrinenschrank, der von der Wand weggerückt ist, als sollte er entfernt werden. Sie lehnt sich gegen die Wand, um sich abzustützen, packt die Querschiene an der Rückseite, hebt die Füße und winkelt die Beine an. Eine Sekunde darauf betritt der Mann den Raum, und sie stößt mit beiden Beinen zu, so dass der Vitrinenschrank auf den Mann herabstürzt. Er springt zur Seite. Krachend fallen Geschirr, Zinnbecher, Bücher und Gläser, wieder wie in Zeitlupe; der Mann entkommt nur teilweise, die oberste Kante des umstürzenden Schranks trifft ihn am Knie, wodurch er mit einem Wutschrei zu Boden sinkt.
Sie springt über den Vitrinenschrank und rennt aus dem Esszimmer. Noch ein Schuss ertönt, und plötzlich spürt sie ein Ziehen in der Seite, eine derart jähe sengende Hitze, dass der Schmerz sie beinahe auf die Knie zwingt.
Halb läuft sie, halb fällt sie die schmale Treppe zum Keller hinunter, stürmt an den Bücherstapeln vorbei, springt auf den Stuhl, den sie zuvor dort hingestellt hatte, und zwängt sich aus dem Fenster. Über sich hört sie das dumpfe Geräusch von Schritten: Der Mann hat sich wieder in Bewegung gesetzt, aber die Schritte sind langsamer, langsamer, ein Bein tritt fester auf.
Sie zwängt sich durch die Götterbäume bis zum wackligen Tisch, der an der zweieinhalb Meter hohen Mauer steht, klettert auf den Tisch, stößt ihn weg, als sie über die Mauer springt und im Garten ihrer Freundin Maggie landet.
Hier hält sie inne. Alles ist still. Trotzdem, sie muss weiter. Sie betritt die hintere Terrasse und dann Maggies Küche, schließt die Tür leise hinter sich, macht aber kein Licht.
Ein Uhr nachts: Maggie ist vermutlich noch nicht von der Arbeit zurück. Sie untersucht ihre Seite, die stark blutet, und stellt erleichtert fest, dass die Kugel sie nur gestreift hat.
Rasch geht sie durch die dunkle, stille Wohnung zur Wohnungstür. Dann – vorsichtig, ganz vorsichtig – schiebt sie die Tür auf und späht nach draußen. Die East End Avenue liegt ruhig da, ein paar Autos fahren im weichen Licht der Straßenlaternen vorbei. Sie flitzt aus der Wohnung, schließt die Tür hinter sich und hastet nordwärts, während sie die Straße nach Taxis absucht und ihre Seite schmerzt, ihre Schultern unter dem Gewicht des Rucksacks weh tun. Kein Taxi in Sicht.
Und dann passiert es. Genauso wie jedes Mal davor: das Kreischen von Bremsen, das Knallen einer Tür, das Getrappel von Schritten.
» Halt!«, ertönt der harsche Ruf. »Bleib stehen!«
Ein anderer Mann läuft auf sie zu, Waffe in der Hand.
Vor Frustration und Verzweiflung leise fluchend, schlüpft sie in den nächsten Türeingang: ein 24-Stunden-Lebensmittelgeschäft. Selbst zu dieser Stunde ist der Laden voll, die Leute stehen am Bestelltresen und bedienen sich an der Salatbar. Sie rennt durch den Laden, stößt die Stapel von Dosengerichten beiseite, kippt die
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