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Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens

Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens

Titel: Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Douglas & Child Preston , Lincoln Child
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Wohnzimmer saß und ein Buch auf Japanisch las, und gelangte bald zum Ende des Flurs, wo dieser eine 90-Grad-Biegung nach rechts machte. Pendergast öffnete die erste Tür links nach der Biegung und betrat das Zimmer dahinter.
    An den Wänden rechts und links standen deckenhohe Einbaubücherregale aus Mahagoni, jedes voll mit in Leder gebundenen Büchern aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Die Wand vor ihm wurde von einer tiefen Fensterlaibung aus poliertem Mahagoni eingenommen, darin standen sich zwei Bänke gegenüber, mit Kissen darauf. Zwischen den Bänken befand sich ein großes Panoramafenster mit Blick auf die Kreuzung von Central Park West und 72nd Street. Jenseits davon lag die Weite des Parks, dessen entlaubte Bäume von der Wintersonne beschienen wurden.
    Er schloss die Augen, entspannte sich und regulierte sorgfältig seine Atmung. In einem immer größer werdenden Kreis orchestrierten Vergessens begann die äußere Existenz langsam von ihm abzufallen, erst das Zimmer, dann die Wohnung, das Apartmentgebäude, die Insel Manhattan, dann die Welt selbst. Der Vorgang nahm eine Viertelstunde in Anspruch. Im Anschluss verweilte Pendergast in der Dunkelheit und wartete auf die absolute Leere, die völlige innere Ruhe. Als er diese erlangt hatte, schlug er die Augen auf – nicht im körperlichen, sondern im geistigen Sinne –, langsam, ganz langsam.
    Das kleine Zimmer erschien in all seiner detaillierten Vollkommenheit. Doch es blieb leer.
    Pendergast erlaubte sich nicht den Luxus, überrascht zu sein. Er war extrem gut geschult in der Kunst des Chongg Ran, einer uralten Meditationsform aus dem Himalaja, die er nach Jahren der Ausbildung schließlich gemeistert hatte. Es geschah höchst selten, dass er stong pa nyid – den Zustand der Reinen Leere – nicht erreichte. Offensichtlich gab es da einen Widerstand, der irgendwo in seinem Geist lauerte.
    Er würde mehr Zeit benötigen, sehr viel mehr Zeit.
    Noch einmal regulierte er seine Atmung, so dass sich der Herzschlag auf vierzig Schläge pro Minute verlangsamte. Er leerte sein Bewusstsein, um die innere Stimme zum Schweigen zu bringen, um seine Wünsche und Hoffnungen loszulassen, ja sogar den Grund zu vergessen, weshalb er dieses Zimmer aufgesucht hatte. Einen langen Augenblick verharrte er erneut gewichtslos im leeren Raum. Dann – unendlich viel langsamer diesmal – begann er im Geist ein perfektes Modell der Insel Manhattan zu errichten, wobei er bei seiner Wohnung begann und sich dann nach außen bewegte. Zunächst ging er von Zimmer zu Zimmer, dann von Gebäude zu Gebäude und dann mit liebevoller Aufmerksamkeit von Häuserblock zu Häuserblock. Pendergast kannte die Topographie von Manhattan so gut wie kein anderer. In einer harmonischen Verschlingung von Erinnerung und Neuaufbau verweilte er bei jedem Gebäude, jeder Kreuzung, jedem obskuren Punkt von architektonischem Interesse, wobei er alle Einzelheiten zu einem Ganzen fügte und dieses in seiner Gesamtheit im Kopf behielt. Schritt für Schritt wurde das große geistige Gebäude errichtet, das immer größer wurde, bis es vom Hudson im Westen, dem Harlem River im Osten, dem Battery Park im Süden und Spuyten Duyvil im Norden begrenzt wurde. Einen langen, langen Augenblick behielt er das gesamte Manhattan im Kopf, wobei jedes Hauptmerkmal der Insel mit jedem anderen in seinem geistigen Wiederaufbau koexistierte. Und dann – nachdem er sich vergewissert hatte, dass dieser vollendet war – riss er das alles mit einem Handstreich des Geistes wieder ein. Verschwunden. Ausgelöscht. Nichts blieb übrig als Dunkelheit.
    Jetzt schlug er im Geiste wieder die Augen auf. Fünf Stunden waren vergangen. Und Helen Esterhazy Pendergast saß auf dem Fensterplatz ihm gegenüber. Es war Helens Lieblingszimmer in der Dakota-Wohnung gewesen. New York hatte es ihr besonders angetan, und in dieses kleine Zimmer – gemütlich, voller Bücher, mit seinem Geruch nach poliertem Holz und dem Ausblick auf den Central Park – hatte sie sich besonders gern zurückgezogen.
    Natürlich war Helen nicht im wörtlichen Sinne anwesend, aber in jeder anderen Hinsicht existierte sie; alles in Pendergasts Geist, das sie berührte, jede Erinnerung, jedes noch so kleine Detail, war Teil jenes geistigen Neuaufbaus, und zwar so sehr, dass man sagen konnte, dass Helen eine gleichsam autonome Existenz angenommen hatte.
    Das war die Schönheit und die Kraft des Chongg Ran.
    Helen hatte die Hände im Schoß gefaltet und trug ein Kleid, an

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