Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
nahm das Schloss in eine Hand und strich mit der anderen geradezu liebevoll darüber. Es sprang nicht sofort auf, sondern gab erst nach, nachdem er es mit einem kleinen Schraubenzieher und einem Schlagschlüssel bearbeitet hatte. Er zog die Haspe aus dem Schloss, dann öffnete er mit gezogener Waffe die Tür gerade so weit, dass er ins Lagerhaus hineinschauen konnte. Dunkelheit und Stille. Er zog die Tür noch etwas weiter auf, betrat das Lagerhaus und schloss die Tür hinter sich.
Etwa fünf Minuten lang rührte er sich nicht vom Fleck, sondern leuchtete lediglich mit seiner Taschenlampe herum, inspizierte den Boden, die Wände, die Decke. Das Lagerhaus war fast völlig leer: Betonboden, Metallwände, leere Regale an den Wänden. Es schien ebenso wenige Informationen zu liefern wie das ausgebrannte Taxi.
Langsam ging er in dem Raum umher und blieb dabei hin und wieder stehen, um sich etwas anzusehen, das ihm auffiel. Er nahm da ein Stück von etwas in die Hand, machte dort ein Foto, füllte Beweismittelbeutel mit fast unsichtbaren Proben. Obwohl das Lagerhaus offenkundig leer war, begann sich unter seinen forschenden Blicken eine Geschichte abzuzeichnen, die jedoch kaum mehr als ein gespenstisches Palimpsest war.
Eine Stunde darauf kehrte Pendergast zur geschlossenen Tür des Lagerhauses zurück. Er kniete sich hin, breitete ein Dutzend kleiner verschlossener Plastikhüllen aus, von denen jede ein kleines Beweisstück enthielt: Metallspäne, ein Stück Glas, Öl von einem Fleck auf dem Betonboden, ein Stückchen getrocknete Farbe, ein Splitter Kunststoff. Er ließ den Blick über die einzelnen Stücke schweifen, bis ein geistiges Bild entstand.
Das Lagerhaus war früher einmal als Fahrzeughalle genutzt worden. Nach dem Alter und dem Zustand der Ölflecken auf dem Boden zu urteilen, war es recht intensiv genutzt worden. In jüngerer Zeit waren aber wohl nur zwei Fahrzeuge hier untergebracht gewesen. Bei dem einen – nach den schwachen Reifenabdrücken auf dem Betonboden, einem Goodyear-Reifen Größe 215/75–16 – handelte es sich um den Ford Escape, der als Fluchttaxi gedient hatte. Zudem deuteten kleine gelbe Farbflecken an der einen Wand wie auch die Spuren von Lackspray auf einem Stück Holz, das in eine entfernte Ecke geworfen worden war, darauf hin, dass es sich hier um den Ort handelte, wo der Escape in ein falsches New Yorker Taxi umgewandelt worden war – bis hin zur Umlackierung und der gefälschten Taxinummer.
Das andere Fahrzeug, das in letzter Zeit im Lagerhaus geparkt worden war, war schwieriger zu identifizieren. Der Reifenabdruck war breiter als der Abdruck des Escape und stammte höchstwahrscheinlich von einem Michelin. Gut möglich, dass er zu einer PS-starken deutschen Luxuslimousine gehörte, zum Beispiel einem Audi A8 oder einem BMW 750. An der Innenseite der Lagerhaustür, mit der das Fahrzeug in jüngerer Zeit in Kontakt gekommen war, waren ganz leichte Lackkratzer zu erkennen; Pendergast legte die Lackteilchen mit einer Pinzette in einen weiteren Beweismittelbeutel. Es handelte sich um Metallic-Autolack von einer ungewöhnlichen Farbe: Kastanienbraun.
Und dann, während er den Lack untersuchte, fiel sein Blick auf etwas anderes im schmalen Spalt der Schiebetür. Eine winzige Süßwasserperle.
Ihm wäre beinahe das Herz stehengeblieben.
Als er sich von dem Schreck erholt hatte, hob er die Perle mit der Pinzette auf. Vor seinem inneren Auge sah er, wie das Taxi vor rund vierundzwanzig Stunden hierher zurückkehrte. Vier Personen mussten darin gewesen sein: der Fahrer, zwei Männer in Jogginganzügen und eine unfreiwillige Begleiterin – Helen. Hier wurde sie in die kastanienbraune ausländische Limousine überführt. Als die Männer wegfahren wollten, kam es zu einem Kampf. Helen versuchte zu fliehen und stieß die Tür des Taxis auf – deshalb die Lackspuren –, und als die Entführer sie niederwarfen, rissen sie die Perlenkette entzwei, wodurch die kleinen Perlen auf den Rücksitz und auf den Boden des Lagerhauses fielen. Es musste Flüche, vielleicht so etwas wie eine Bestrafung und ein hastiges Handgemenge gegeben haben, als man die Perlen aufhob, die überall auf dem Betonboden herumlagen.
Pendergast blickte auf die kleine, glänzende Perle zwischen den Greifern der Pinzette. Diese hier hatten sie übersehen.
Nachdem man Helen sicher in dem zweiten Wagen untergebracht hatte, hatten die Fahrzeuge vermutlich getrennte Wege eingeschlagen – das falsche Taxi zu seinem
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