Penelope Williamson
sich um
dringende Geschäfte zu kümmern hat und ebenfalls früher gehen muß. Natürlich
kommt einem da als erstes der Gedanke ... Heute nachmittag wird die ganze
Gesellschaft über deine kleine >Ohnmacht< reden. Man wird wochenlang
flüstern und vielsagende Andeutungen machen. Man wird uns aufmerksam
beobachten, jawohl, man wird uns alle beobachten. Und das wird kein Ende
nehmen, selbst dann nicht, wenn offensichtlich ist, daß sich der schlimme
Verdacht der Leute nicht bewahrheitet. Er wird sich doch nicht bewahrheiten,
Emma, oder?«
»Nein, Mama«,
sagte Emma und errötete noch einmal, denn das war doch bestimmt eines der
Dinge, über die man nicht reden durfte. Andererseits hatte sie ihre Mutter noch
nie in einem solchen Zustand erlebt. Sie sah aus wie ein Kind, das aus einem
Alptraum aufgewacht war. Sie trug einen gesteppten Morgenmantel, ihre Haare
waren mit Nadeln aufgesteckt, sie zitterte, umklammerte ihre Knie und wiegte
sich hin und her. Ihre aufgerissenen Augen waren dunkel und starrten blicklos
ins Leere.
Emma setzte
sich neben sie auf die Treppe. Beinahe hätte sie den Arm um die Schulter ihrer
Mutter gelegt, tat es am Ende aber doch nicht. Sie fürchtete zu sehr, ihre
Mutter würde es nicht mögen. Doch sie saß nahe genug, um das leichte Zittern im
Körper der anderen Frau zu spüren.
»Mama, hast du von Maddies Medizin genommen?«
Ein
heftiger Schauer überlief Bethel, und sie umklammerte die Knie fester. »Meine
Nerven ... ich war in letzter Zeit so angespannt. Du kannst dir nicht
vorstellen, wie das ist, dieses ständige Auf-der-Hut-Sein ... Ich hatte schon
immer eine schwache Konstitution, das weißt du, und trotzdem bist du so grausam
zu mir und versetzt mich in Angst und Schrecken. Alle meine Kinder waren immer
grausam zu mir.«
»Es tut
mir leid, Mama. Ich hätte dir gesagt, wohin ich gehe, aber ...«
Du hättest
versucht, es zu verhindern, und ich hätte mich dir widersetzen müssen, und es
wäre zu einer der Szenen gekommen, die du so fürchtest.
»Aber es
war keine Zeit dazu.«
Bethel hob
den Kopf, richtete die Schultern auf und war einen Augenblick lang mehr sie
selbst. »Diese Frau ist ein schlechter Einfluß für dich, Emma. Ich wußte, daß
nichts Gutes dabei herauskommt.«
»Es war
alles meine Schuld. Ich hätte es dir sagen sollen ... Ich helfe dir jetzt
hinauf in dein Zimmer«, erwiderte Emma. Doch sie zögerte kurz, bevor sie ihrer
Mutter den Arm um die Hüfte legte und sie halb auf die Beine zog. Sie stiegen
langsam die Treppe hinauf. Auf den ersten beiden Stufen lehnte sich ihre Mutter
schwer an sie, doch dann zog sie sich zurück.
»Soll ich Jewell mit dem
Frühstück hinaufschicken?« fragte Emma. »Du mußt etwas essen. Bei all den
köstlichen Gängen gestern abend hast du nicht mehr als einen Bissen gegessen.«
Bethel
schüttelte den Kopf so heftig, daß ihr ganzer Körper bebte. »Nein, nein. Nicht
noch mehr Essen. Ich bin zu dick, und du weißt, dein Vater kann dicke Frauen
nicht ausstehen. Er wird zu deiner Hochzeit nach Hause kommen, und bis dahin
bin ich wieder schlank. Er wird sehen, daß ich mich verändert habe, und wird
hierbleiben. Du wirst schon sehen, daß er bleibt.«
»Ja, Mama,« sagte Emma und
kämpfte gegen den plötzlichen Drang an zu weinen.
Tränen. Sie
schien in letzter Zeit so viele Tränen vergossen zu haben – vor Glück und vor
Traurigkeit –, und doch schienen sie nie zu versiegen.
Ihre Mutter
blickte zu ihr auf. Ihr Gesicht glühte vor unverhüllter Hoffnung wie von
Kerzenschein erhellt. »Er liebt mich, Emma«, sagte sie. »Er hat es nur
vergessen. Aber wenn er mich sieht, wird er sich wieder daran erinnern. Es wird
sein wie an dem Abend auf dem Ball in Sparta, und er wird mich wieder lieben.
Diesmal für immer. Du wirst schon sehen, daß er mich für immer lieben wird.«
Neunzehntes Kapitel
Der Tag war sonnig, und es wehte ein frischer Wind von
steuerbord. Es war der ideale Tag zum Segeln, das zumindest hatte Emma gesagt.
Bria hatte
die Idee zu einem Picknick gehabt, zu einem ersten Ausflug seit der Geburt des
kleinen Jacob. Doch Emma schlug vor, auf ihrer kleinen Schaluppe hinüber zum
Town Beach zu segeln, der hinter dem Anlegeplatz der Fähre am Westufer der
Mount Hope Bay lag. »Vater O'Reilly kann den Kleinen und die Mädchen im
>Teewagen< hinüberbringen, und wir treffen sie dort«, sagte Emma. »Stell
dir nur vor, was für ein Spaß das wird, nur wir beide auf dem Boot. Wir können
so tun, als seien wir Piratinnen auf hoher
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