Perdido - Im Bann des Vampirjägers
sich.
»Ganz recht. Ich bin die Einzige, die da ’nen Blick reinwerfen darf.« Die Frau deutete mit dem Kinn auf das Buch.
»Haben Sie das auch Herrn Phem erklärt, als er heute abgereist ist?«
»Der is noch gar nich abgereist. Der wohnt noch im Zimmer Nummer … Augenblickchen mal!« Ihr ging ein Licht auf. »Du willst mich aushorchen, was?«, zeterte sie. »Spionierst du für ’ne Diebesbande oder so was? Rotzbengel!« Sie kam um den Tresen herum.
Hugo begriff, dass sie ihn gleich hinauswerfen würde, und fasste in seine Westentasche.
»Der Notfallplan kommt zum Einsatz!«, sagte er leise.
Herkules zwinkerte ihm zu. »Alles klar!« Er sprang aus Hugos Hand auf den Fußboden.
»Ach du Heiliger!«, rief Hugo aus und zeigte auf den Boden hinter der Wirtin. »Was ist das denn?«
Herkules lief eifrig im Kreis, scharrte mit den Pfötchen und gab sich mächtig Mühe, so schrill und hoch wie eine gewöhnliche Maus zu quieken.
»IIIIEEEHHH! Eine MAUS!«, kreischte die Wirtin und raffte ihre Röcke. Daraufhin trippelte Herkules auf sie zu und sauste in Achterschleifen um ihre Füße. Die Wirtin blieb vor Schreck wie angewurzelt stehen.
Darauf hatte Hugo nur gewartet. Er lief an der Frau vorbei zum Tresen, riss die letzte beschriebene Seite aus dem Gästebuch und stürmte die Treppe hoch. Im Laufen warf er einen Blick auf das Blatt.
Unter »Sonstiges« hatte die Wirtin eingetragen: Kein Zimmerservice – Gast hält gern Mittagsschläfchen!
Hugo rannte den Flur entlang, bis er zum Zimmer 3 kam. Erst steckte er die Seite aus dem Gästebuch in den Tornister, dann klopfte er. Die Tür ging einen Spalt auf. Ihre Angeln jaulten wie eine Katze, der man auf den Schwanz tritt.
»Otis?«, fragte Hugo zaghaft.
Stille.
Hugo, dem sogleich alle möglichen Schreckensbilder vor Augen standen, stieß die Tür ängstlich ein Stück weiter auf. Wennnun die Banditen ebenfalls hier gewesen waren und Otis etwas angetan hatten? Wenn sie womöglich noch im Zimmer waren?
Aber das Zimmer war leer. Das Bett in der Ecke war nicht gemacht, auf dem Boden stand ein nicht angerührter Teller mit Brot und Käse. An der Wand gegenüber hing ein fleckiger Spiegel, auf dem klapprigen Tisch vor dem schmutzigen Fenster standen zwei leere Bierkrüge.
Hatten die Banditen Otis entführt? Zwar deutete nichts auf ein Handgemenge hin, doch das war zu Hause nicht anders gewesen, und Onkel Walter war ganz bestimmt entführt worden. Aber warum sollten sich die Banditen die Mühe machen, Otis aufzusuchen, wenn sie doch schon Onkel Walter in ihre Gewalt gebracht hatten? Dafür gab es nur eine Erklärung: Sie wollten den einzigen Zeugen mundtot machen, der sie hätte auffliegen lassen können. Doch als sich Hugo noch einmal umsah, kam er zu einem anderen, wahrscheinlicheren Schluss. Offenbar war Otis bereits nach Dämonien aufgebrochen, denn Onkel Walter hatte ihm ja Marcellos Legende zu der Karte entschlüsselt.
Hugo wollte schon wieder hinausgehen, da fiel sein Blick auf einen wohlbekannten braunen Lederhandschuh, der gleich neben der Tür auf dem Fußboden lag. Hugo hob den Handschuh auf, steckte ihn in den Tornister und ging wieder nach unten.
Bei dem Schauspiel, das sich ihm in der Schankstube bot, musste er unwillkürlich stehen bleiben. Er grinste so breit, dass die Grübchen auf seinen Wangen zum Vorschein kamen.
Die Wirtin hatte sich inzwischen auf einen Stuhl geflüchtet. Ihr Gesicht war bleich wie eine Wachskerze. Mit einer Hand hielt sie immer noch ihren Rock gerafft, die andere hatte sie vor den offenen Mund geschlagen. Aus dem Mund drang ein kehliger Schrei.
Herkules war es leid geworden, immerzu Achterschleifen zu laufen, er hockte jetzt mitten in der Diele auf den Hinterpfoten. Er hielt sich das rosige Näschen zu, drohte der Wirtin mit der anderenPfote, wackelte mit den Ohren und imitierte mit dem Maul schallende Furzgeräusche.
»Was gibt’s da zu grinsen?«, keifte die Frau, als sie Hugo entdeckte. »Das Vieh ist total durchgeknallt!«
Hugo durchquerte die Schankstube und öffnete die Tür. Dann drehte er sich noch einmal um.
»Sie sollten mal sehen, wie er sich aufführt, wenn sein Frühstücksei zu hart geworden ist. Jetzt komm, Herkules, unser Schiff läuft gleich aus.«
13. Kapitel
H
ugo stand am Kai, blickte zur Eisenfaust empor und holte tief Luft. Der Geruch von Salzwasser und Fischtran stieg ihm in die Nase. Er war aufgeregt und ängstlich, und seine Arme und Beine fühlten sich so schwach an, als strömte statt
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