Perlenregen
– ich weiß gar nicht, was ihr alle von mir wollt!“
Gleich fange ich an zu heulen. Alle sind so ungerecht zu mir . Ich spüre, wie mir Tränen der Wut in die Augen steigen.
„Weinen bringt auch nichts, Nelchen. Erzähl mal weiter“, sagt Oma mit sanfter Stimme, meine Hand tätschelnd.
„Nico warf mich also aus dem Auto, aber bevor ich ausstieg , sah ich, dass Leon in das Restaurant ging, vor dem wir angehalten hatten! Wisst ihr, Leon Ahlbeck!“
„Natürlich wissen wir, wer dein Leon ist! Wir hatten beide schöne Träume von ihm!“ , kichert Ruth.
„Soweit würde ich nun nicht gehen“, schimpft Oma.
„Ich ging Leon also hinterher, setzte mich auf den Platz hinter ihm …“
„War er alleine?“
„Nein, er hatte eine blöde blonde Frau dabei. So eine Tussi, die ihre Haare immer an der einen Seite nach vorne holt. Wisst ihr, was ich meine?“
Die beiden alten Damen nicken wissend. Sie verstehen mich. Alles ist gut, ich kann es ihnen anvertrauen.
„Ich jedenfalls saß direkt hinter Leon und der Blonden. Sein Rücken war mir zugewandt. Ich dachte noch so: Was mach ich denn jetzt? Warum tu ich mir das an? Als er auf einmal etwas umkippte, sich umdrehte und mich direkt anschaute. Tja, und dann ging das gleiche Spiel wieder los. Licht aus, Musik aus, Leute schockgefroren. Paff, bumm, peng!“
Oma und Ruth hören mir begeistert zu. Ich lasse kein Detail aus, beschreibe ihnen die Farbe von Leons Gürtel, berichte von der Inneneinrichtung des Diners, stelle nach, wie wir beide vom Burger abgebissen haben. Während ich erzähle, steigt das alte Fieber wieder in mir auf. Ich bin immer noch in Leon verliebt, schießt es mir durch den Kopf! Verdammt, warum berichte ich nicht so enthusiastisch von Daniel? Er macht doch alles richtig! Schuldbewusst halte ich mitten in der Erzählung inne.
„Und als wir uns küssen wollten …“
„Was dann?“
„Alles wieder vorbei. Ende der Geschichte. Na ja, Hirngespinste!“ Ich lache gekünstelt. „Es ist doch klar, dass ich mir das alles nur eingebildet habe. So einen Quatsch erlebt doch kein Mensch. So, ihr wisst jetzt alles. Darf ich jetzt Daniel anrufen, damit er mich abholen kann?“
„Nein“, befiehlt Oma scharf. So habe ich sie das letzte Mal gehört, als ich klein war und auf die heiße Herdplatte gefasst habe.
„Du stellst dich jetzt deinen Gefühlen, Nelchen. Gefühle schwanken. Oder ist es Schwindel?“
„Ich liebe Daniel! Ihr versteht das einfach nicht! Was hätte ich denn tun sollen, als dieser … Traum wieder vorbei war? Leon saß wieder auf seinem Platz, gegenüber seine Blondine, von der er mir kurz zuvor noch berichtet hatte, sie sei eine Cousine zweiten Grades. Oder dritten, was weiß denn ich!“
Die Tränen laufen mir die Wangen hinunter. So ein Mist! Ich wollte doch nicht heulen.
„Das ist doch alles total verrückt, Oma, gib’s doch wenigstens zu! Ich träume von irgendeinem wildfremden Juwelier und lerne einige Wochen später einen netten Mann kennen. Verstehst du, Daniel ist echt! Und ich habe mich sofort in ihn verliebt. Hätte ich ernsthaft einem Mann treu bleiben sollen, den ich noch nicht mal kenne?“
„Von Treue verstehe ich nicht so viel“, gibt Ruth zu. Wenigstens ist sie ehrlich.
„Aber ich“, sagt Oma. „Die Sache ist kompliziert, aber es gibt für alles eine Lösung. Deine Erscheinungen wollen dir etwas sagen, davon bin ich überzeugt. Sie wollen bestimmt nicht sagen, dass du einen anderen nehmen sollst. Es tut mir ja leid um deinen Daniel, aber du solltest dich von ihm trennen, bevor es zu spät ist.“
„ Pfft!“, mache ich. „Ich bereue jetzt schon, dass ich es euch erzählt habe. Daniel ist perfekt! Nichts und niemand wird mir diese Beziehung kaputtmachen; schon gar nicht ein Dornröschen säuselnder Schmuckverkäufer!“
„Wir können dich nicht zwingen. Aber höre auf dein Herz, Nelchen! Das Herz lügt nicht.“
9
Dass irgendwas im Busch ist, habe ich seit Wochen gespürt. Nichts Gutes, so viel steht fest. Daniel ist in sich gekehrt, spricht wenig mit mir und versprüht eine Laune, die hervorragend zum trüben Herbstwetter passt. Inzwischen habe ich mich fast häuslich bei ihm eingenistet. Meine Zahnbürste steht neben seiner im Becher. Ich wasche unsere Wäsche gemeinsam in seinem Keller. Wir schlafen in seinem Bett ein, stehen zusammen auf. Die anfängliche Verliebtheit ist einer angenehmen Routine gewichen, was sich für mich gut und sicher anfühlt. Nicht sicher allerdings macht mich Daniels
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