Perlentöchter
ihr Geburtstagsgeschenk von Ga Ga.
Rose wusste, was es sein würde. Das Auge. Aber wie genau würde es in Erscheinung treten? Und wie würde es ihr helfen, das zu erreichen, was Ga Ga vollbrachte, wenn er seinen Pinsel in die Hand nahm und ihr Ebenbild auf der Leinwand vor ihm erscheinen ließ. Rose zitterte vor Aufregung. Nicht mehr lange! In ihrem Tagebuch, zu dem Lydia und sie von ihrer Gouvernante ermuntert worden waren, hatte sie die Tage durchgestrichen. Nächste Woche um diese Zeit würde sie endlich bekommen, worauf sie die ganze Zeit gewartet hatte.
»Rose?«
Es war definitiv eine Frage, keine Feststellung. Lydia und sie hatten das im Unterricht gelernt. Eine Frage war etwas, was eine Dame nicht zu oft benutzen durfte, um bei anderen nicht den Eindruck zu erwecken, »forsch« zu sein. Eine Feststellung konnte genauso heikel sein, wenn sie in der Absicht ausgesprochen wurde, jemanden in der Runde auszustechen. Aber traf man den richtigen Ton, verlieh das dem Sprecher offenbar Attraktivität und Intelligenz zugleich. Eine äußerst knifflige Angelegenheit, wie Miss Hollingswood mit diesen kleinen roten Flecken auf den Wangen zustimmte, aber trotzdem unumgänglich für eine moderne junge Dame.
»Rose!«
Dieses Mal klang es eher wie ein Befehl als eine Frage. Widerwillig machte Rose sich auf den Weg in die Bibliothek, wo ihr Vater vor dem Kamin stand, die Hände in den Taschen seines Tweedanzugs, unter dem an einem Handgelenk seine Uhr hervorblitzte. Beunruhigenderweise saß Mama auf dem Stuhl neben ihm. Ihre Augen sahen aus, als hätte sie wieder am offenen Fenster gesessen.
Papa forderte sie nicht auf, sich zu setzen.
»Rose, mir ist zu Ohren gekommen, dass du dich gegenüber deiner Mitschülerin schon wieder unhöflich benommen hast.«
Roses erster Impuls war, alles abzustreiten. Erstens war es schon eine Ewigkeit her, und zweitens war sie nicht unhöflich gewesen, sondern hatte Lydia nur auf ein paar Wahrheiten aufmerksam gemacht. Aber dann musste sie an Ga Gas Worte denken, dass man ehrlich zu sich selbst sein müsse. Also sagte sie, was sie sagen würde, wenn sie sich selbst gegenüberstände. »Sie beschwert sich ständig, wenn sie zu Fuß gehen muss, weil das ihrer Frisur schaden könnte. Und sie interessiert sich nicht für den Unterricht, sondern erzählt lieber, dass der rosa Pudding sie hungrig macht, obwohl sie gerade erst gefrühstückt hat.«
Ihre Mutter hob den Blick, mit einem Funkeln in den Augen, ähnlich wie Miss Hollingswood. »Rosa Pudding?«
»Die Länder auf dem Globus. Sie sind so aufregend, Mama. Haben Sie sie gesehen?«
Die Stimme ihres Vaters unterbrach sie. »Lydia hat ihrer Mutter auch erzählt, dass du nicht die Absicht hast zu heiraten, sondern stattdessen planst, durch die Welt zu zigeunern.«
Er blickte nun aus dem Fenster, ein sicheres Zeichen, dass er an etwas anderes dachte, auch wenn sein strenger Ton darüber hinwegtäuschte.
Rose begann sich unbehaglich zu fühlen. »Kann sein, dass ich ein bisschen übertrieben habe.«
Das Funkeln in den Augen ihrer Mutter begann zu verblassen, als wüsste sie, was als Nächstes kam. »Übertreibungen, Rose«, tönte ihr Vater und musterte sie nun eindringlich, »geziemen sich nicht für eine junge Dame. Deine Mutter und ich haben beschlossen, dass du eine Strafe verdienst, damit sich solche Szenen nicht wiederholen.«
Sie wusste, was als Nächstes kam.
»Daher darfst du das Geschenk nicht behalten, das deine Mutter und ich zu deinem Geburtstag ausgesucht haben. Stattdessen wirst du es Lydia geben, um dich zu entschuldigen.«
Eine Woge der Enttäuschung durchströmte Rose. »Ich darf das Auge nicht haben?«
Ihr Vater runzelte die Stirn. »Wovon sprichst du, Kind?«
Ihre Mutter beugte sich vor. Der Klang ihrer Stimme, die gewöhnlich stumm blieb, war ein Schock. »Vielleicht hält sie den Spiegel für ein Auge. Ziemlich fantasiebegabt, denke ich.«
Das hier wurde immer verwirrender. Spiegel? Sie wollten ihr doch nicht etwa den Spiegel aus dem Schulzimmer schenken? War er das Auge, das Ga Ga in all den Jahren gemeint hatte?
»Fantasie schickt sich nicht immer für eine junge Dame.« Papa übergab ihr eine Schachtel mit einer blauen Schleife. »Rose, in der Schachtel befindet sich ein Handspiegel. Mach sie auf. Gut so. Er ist schön, nicht wahr?«
Rose musste ihm recht geben. Der Griff war aus Silber, ebenso der Rahmen, der zudem mit hübschen Muscheln verziert war. Sie war noch nie am Meer gewesen (oh, wie sehr sie
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