Perlentöchter
beobachtete sie beunruhigt, dass er die beiden Frauen musterte, die neben ihm saßen, als vermute er, dass eine der beiden für diese vertrauliche Geste verantwortlich war statt Rose. Dann fing sie seinen Blick auf und bewegte wieder ihren Fuß. Er schaute weg in Richtung Fenster, hinaus in die Dunkelheit.
Er hat für mich nichts übrig, wurde Rose plötzlich schmerzhaft bewusst. Und das war kein Wunder. Sie hatte ihn vor aller Augen lächerlich gemacht. Sicher bereute er es bereits, sie geheiratet zu haben. Sie würde unter dem Vorwand nach England zurückkehren müssen, dass ihr das Klima in diesem seltsamen Land nicht bekam, was tatsächlich auch stimmte: Selbst jetzt fühlte sie sich der Ohnmacht nahe. Sie konnte nun genauso gut nach Hause gehen.
Sie erhob sich, als plötzlich ein kleines dunkles Kind an der Tafel vorbeihuschte und ihr winkte, ihm zu folgen. »Wer ist das?«, fragte sie verwirrt. War dies ein weiterer seltsamer Brauch auf Borneo, den sie wieder falsch verstehen würde?
»Wer?«, erwiderte Celia, deren ernster Blick darauf hindeutete, dass auch sie Charles’ wütendes Gesicht bemerkt hatte.
»Das Kind. Dieser kleine Junge.«
Er stand nun neben ihr und machte verstohlene Gesten, als wollte er sie am Handgelenk packen und mitziehen.
»Ich kann nichts sehen.« Celia klang geniert. »Sie müssen mehr trinken, Darling, oder Sie lernen nie, es mit Würde zu tragen. Sie hatten erst ein Glas. Warten Sie. Wo wollen Sie hin?« Ihre Stimme senkte sich nun zu einem scharfen Zischen. »Man wird es als schrecklich unhöflich erachten, wenn Sie jetzt gehen. Den Männern ist das gestattet, aber uns nicht.«
Zu spät. Das Kind war derart beharrlich mit seinen stummen Gesten, dass Rose keine andere Wahl hatte, als ihm zu folgen. Vielleicht brauchte jemand Hilfe? Konnten diese Leute mit dem blechernen Lachen und den barschen Stimmen das nicht sehen? Rose schickte sich an, dem Jungen hinterherzulaufen, aber ihre Füße schmerzten in den Schuhen, die Celia ihr passend zum Kleid geliehen hatte. Rose schüttelte sie ab und sauste barfuß durch den Raum zur Tür, ohne auf die Rufe hinter ihr zu achten.
»Sie läuft weg«, rief jemand, und sie glaubte, auch die Stimme ihres Mannes zu hören, aber aus irgendeinem Grund wusste sie, dass sie diesem Jungen folgen musste, dass sie ihn auf keinen Fall verlieren durfte. Er lief schnell, aber hin und wieder blickte er sich nach ihr um und vergewisserte sich, dass sie noch in Sichtweite war. In diesem Teil des Lagers war Rose noch nie gewesen. Charles hatte ihr empfohlen, diesen Bereich zu meiden. »Dort wohnen die Arbeiter mit ihren Frauen«, hatte er nach ihrer Ankunft in einem Ton erklärt, der keine weiteren Fragen duldete.
Die Unterkünfte in diesem Teil des Lagers unterschieden sich sehr stark von ihrem Bungalow. Die Hütten waren viel kleiner und hatten keine umlaufende Veranda. Bei den meisten handelte es sich um Pfahlbauten, wie Rose sie zu nennen gelernt hatte, aber die Pfähle ähnelten eher dünnen Stöcken, die aussahen, als könnten sie den schweren Regenfällen nicht lange standhalten, die vor kurzem eingesetzt hatten. Wo führte der Junge sie hin? Einen Augenblick lang wünschte Rose, sie hätte den kleinen Beutel mit dem Verbandsmaterial und den Salben dabei, den Papa ihr für den Fall mitgegeben hatte, dass sie sich verletzte. Vielleicht konnte sie jemanden danach schicken, denn sie war sich nun sicher, dass der Junge sie brauchte, um jemandem zu helfen. Sie wusste genau, wo der Beutel war, nämlich in der großen Holztruhe am Fußende ihres Betts.
Der Junge blieb nun vor einer kleinen, klapprigen Hütte stehen, die nach Fisch und Kohle stank und nicht anders aussah als die anderen, an denen sie vorbeigekommen waren. Er bewegte heftig den Kopf, als wollte er ihr zu verstehen geben, dass sie eintreten solle. »Willst du nicht hineingehen?«, fragte sie, aber er schüttelte den Kopf. Hatte er sie überhaupt verstanden?
Roses Herz begann zu rasen. Angenommen, die Person, die sich drinnen aufhielt, hatte eine ansteckende Krankheit? Im Club kursierten Gerüchte über eine seltsame Infektion, die in der Gegend grassierte, eine Krankheit, die das Schwitzen in der Nacht unerträglich machte und die Haut gelb färbte. Es wurde gemunkelt, dass sogar jemand daran gestorben sei und dass es viele der Einheimischen erwischt habe.
Aber nahm ihr Vater, als Arzt, nicht jeden Tag das Risiko einer Ansteckung auf sich? Rose verwarf ihre Befürchtungen mit einem
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