Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
die Straßen. Inmitten des heulenden Motors und tschechisch gesprochener Wortfetzen, die wohl Projektil und Blutverlust bedeuteten, hörte er eine vertraute Stimme. Ivona!
»Sie haben eine Schussverletzung in der Schulter. Wir bringen Sie ins Fakultätskrankenhaus. Dort sind Sie …«
Den Rest hörte er nicht mehr, da er wieder in die Dunkelheit glitt.
KAPITEL 4
Hogart verbrachte die ganze Nacht im Bulovka-Krankenhaus. Als er nach der Operation aus der Narkose erwachte, war Ivona nicht mehr bei ihm. Ein Arzt gab ihm eine Packung Mundidol, eines der stärksten Schmerzmittel, über das sie im Spital verfügten, und erklärte ihm in gebrochenem Deutsch, dass ihm eine Kugel aus der Schulter operiert worden war. Das Projektil einer Kleinkaliberwaffe hatte das Schultergelenk nur knapp verfehlt, bloß eine Fleischwunde hinterlassen und weder Knochen noch Bänder verletzt. Außerdem hatte er nicht viel Blut verloren, da Ivona die Blutung mit einem Druckverband gestillt hatte, bevor der Ambulanzwagen eingetroffen war.
Hogart brach zwei Pastillen aus der Folie, die er mit zusammengebissenen Zähnen schluckte. Bald würden die morphiumähnlichen Tabletten den Schmerz vertreiben. Während er ein Dutzend Papiere unterzeichnete, unter anderem einen Revers, damit er das Krankenhaus vorzeitig verlassen durfte, telefonierte sein behandelnder Arzt ziemlich aufgebracht im hinteren Bereich des Schwesternzimmers. Von der Diskussion verstand Hogart nur ein Wort: Policie. Er musste so schnell wie möglich von hier verschwinden.
Nachdem er mit seiner Kreditkarte knapp 2.300 Euro gezahlt hatte, von denen er trotz Auslandskrankenversicherung nur einen Teilbetrag wiedersehen würde, entließ man ihn im Morgengrauen aus dem Krankenhaus. Den linken Arm mit einer Schleife am Körper fixiert und in der anderen Hand die Tablettenpackung, stand er im Nieselregen auf der Straße und starrte zum Himmel. Schlagartig fühlte er sich in eine fremde, kalte Welt versetzt. Auch die grauen Wolken drückten auf seine Stimmung. Tausende Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Zunächst musste er aus seinen verkohlten blutverkrusteten Kleidern gelangen, danach brauchte er dringend eine heiße Dusche. Mit etwas Glück würde er einen Reinigungsservice für den Mantel finden, damit er den Brandgeruch loswurde, der sich wie eine Krankheit in den Stoff eingenistet hatte. Seine morgendliche Joggingrunde durch die Altstadt konnte er erstmal vergessen - die Schmerzen in der Schulter würden ihn umbringen. Im gleichen Moment wusste er, dass ohne die Bewegung, Dehnung und Sauerstoffzufuhr seine Wirbelsäulenprobleme und die damit verbundene Migräne bald wieder auftauchen würden.
Während er den Mantelkragen umständlich mit einer Hand hochschlug, wunderte er sich, weshalb man ihm den Revers so problemlos bewilligt hatte. Im nächsten Augenblick kannte er die Antwort. Vor ihm kam ein Wagen mit zwei Kripobeamten zum Stehen. Ohne Gelegenheit, sich vorher in seinem Hotel umzuziehen, musste er die Männer zu einem Lokalaugenschein auf die Kampa-Halbinsel begleiten. Bei Tage sah der Landstrich völlig anders aus. Mit etwas mehr Sonne wäre es tatsächlich eine reizvolle Gegend gewesen: der Bach, die Allee, die malerischen Häuser. Doch dann kamen sie zum Ende des Gehweges, wo die Pflastersteine immer noch unter Wasser standen. Dort lagen die Pumpen, Kupplungen und Schläuche der Feuerwehr. Ivonas Haus sah aus, als hätte der Blitz eingeschlagen. Die Dachbalken waren eingebrochen, die Wände verkohlt, bloß der Kamin ragte noch wie ein schiefer Zahnstocher völlig angeschwärzt aus den Trümmern hervor. Es stank bestialisch nach verkohltem Holz, das immer noch rauchte und knackte. In den Fensterrahmen und auf dem teilweise zusammengebrochenen Steg lehnten die Nummerntafeln und Maßstäbe der Kripo. Ein Fotograf knipste das Haus aus allen Perspektiven. Inmitten der Trümmer stocherte ein Mann, der eine dünne Regenjacke trug, mit einem Kugelschreiber im Schutt. Vermutlich der Brandexperte der Versicherung, dachte Hogart, denn Ivona stand heftig diskutierend neben ihm und pochte ständig auf eine Liste. Sie trug dieselben Kleider wie am Abend zuvor: Turnschuhe, Trainingshose und Rippshirt - alles rußverschmiert -, aber darüber einen neuen, grünen Parka, den ihr jemand geborgt haben musste.
Dann forderten die Polizisten seine Aufmerksamkeit. Ein Dolmetscher wollte von ihm wissen, wo er wohne, woher er Ivona Markovic kenne, was er in Prag zu suchen und während den
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