Peter Voss der Millionendieb
Zippel gegenüber.
»Wo kommen Sie her?« herrschte er sie an.
»Ich?« rief sie bestürzt von dem gänzlich unerwarteten Angriff. »Ich bin spazierengegangen.«
›Zäh wie Schuhleder!‹ dachte der Gerichtsrat und räumte das Feld. Beim Abendessen sprach er zu der Haushälterin: »Meine Nichte reist morgen Abend nach Hamburg. Sorgen Sie dafür, daß um sieben Uhr ein Taxi da ist.«
Fräulein Zippel schlief diese Nacht sehr schlecht. Immer glaubte sie im Traum die Haustür gehen zu hören. Als sie aber am Morgen Pollys Koffer im Garderobenzimmer und ihre Schuhe vor der Schlafzimmertür fand, ging sie schnurstracks zum Telefon und wählte die Nummer von Bobby Dodds Hotel. Kaum meldete sich die Martha Zippel, so stürzte Dodd auf den Hotelportier, dem er das Gespräch schon gestern angekündigt hatte, und entriss ihm den Hörer. Auch der Gerichtsrat lauschte auf das, was seine Haushälterin ins Telefon hineinrief:
»Schicken Sie heute Abend um sieben ein Taxi!« sagte die schlaue Person, die längst bemerkt hatte, daß man sie beobachtete. »Die Dame, die bei uns zu Besuch ist, will abreisen.«
›Sie bestellt das Taxi!‹ dachte der Gerichtsrat und legte sich aufs andere Ohr.
»Allright!« rief Dodd am andern Ende der Leitung. »Wohin reist sie?«
»Nach Hamburg«, gab die Haushälterin hastig zurück.
›Schwindel!‹ dachte er und hängte ab. Sie hat Argwohn geschöpft und will mich auf eine falsche Fährte locken. Aber ich werde sie nicht aus den Augen lassen.
Abends um sieben Uhr spazierte er bereits auf dem Bahnsteig hin und her, zwei Fahrkarten hatte er in der Tasche, die eine nach Frankfurt, die andere nach München. Sein Gepäck hatte er im Hotel fertig zum Absenden zurückgelassen. Nur seine kleine Handtasche, die das Allernötigste barg, trug er in der Hand.
Polly nahm herzlichen Abschied von dem Onkel und stieg in den Zug nach München. Dodd stieg als alter Lebemann ins Nebenabteil. Da der Zug aus Durchgangswagen bestand, konnte er Polly unauffällig überwachen.
So fuhren sie zusammen nach Italien.
***
Sie erreichte am nächsten Abend Venedig. Ein alter, weißhaariger Herr, den sie unterwegs öfter gesehen hatte, war ihr in der Auswahl des Hotels behilflich. Sie bedankte sich und verlor ihn aus den Augen. Der Oberkellner des Hotels sprach etwas Deutsch und Englisch und besorgte ihr am Freitagmittag eine Gondel zum Markusplatz. Es war bereits eine Viertelstunde nach zwölf. Gleich darauf sah sie den alten Herrn, den sie von der Fahrt her kannte, mit zwei jüngeren Leuten herankommen. Er grüßte höflich und betrachtete interessiert die Mosaikarbeiten. Seine beiden Begleiter schienen Fremdenführer oder Bekannte zu sein, denn sie gaben ihm auf seine Fragen die gewünschten Erklärungen.
Schon fünfmal war Peter Voss im schnellen Tempo um die Markuskirche gesaust, da erblickte er Polly. Er trat langsam näher.
»Polly!« flüsterte er und ging weiter und stellte sich zu den drei Herren, die ihm einigermaßen verdächtig vorkamen, denn sie konnten sich von dem Bilde nicht trennen, obwohl sie nicht wie Kunstverständige aussahen.
Polly war erschrocken zurückgefahren, als ihr Name an ihr Ohr geklungen war. Sollte dies ihr Peter sein? Das war unmöglich! Und sie verfolgte ihn mit ihren Blicken.
Peter Voss bemerkte es und ging wieder auf den Platz San Marco hinaus, in der Hoffnung, daß ihm Polly unauffällig folgen würde. Allein sie war ihrer Sache nicht sicher und rührte sich nicht vom Fleck.
Wer aber bereits seiner Sache sicher war, das war Bobby Dodd, der mit zwei Kriminalpolizisten vor den Mosaiken stand.
»Aufgepasst!« flüsterte er. »Das ist er!«
Der eine Polizist lüftete darauf den Hut, als wenn er sich verabschiedete, und ging auf den Platz, um dem Verbrecher den Rückzug abzuschneiden.
Peter Voss entging das nicht, aber seine Sehnsucht nach Polly, die schön und reizend wie am Tage ihrer Hochzeit vor dem Tore stand und nicht vorwärts und rückwärts wußte, ließ ihn die Gefahr unterschätzen.
Er schritt weiter auf sie zu, um ihr im Vorbeigehen ein Erkennungswort zuzurufen. Noch war er drei Schritt von ihr entfernt, schon leuchteten ihre Augen in der Freude des Erkennens, da ließ sie ein scharfer Trillerpfiff zurückschrecken.
»Da ist Dodd!« flüsterte Peter Voss ihr schnell und unauffällig ins Ohr. »Verrate mich nicht. Ich heiße Rudolfo Marcera.«
In demselben Augenblick wurde er von vorn und hinten gleichzeitig gepackt.
»Was fällt Ihnen ein!« fluchte er.
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