Pfad des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Roman (German Edition)
war die Höflichkeit in Person und fragte nach meiner Pflegefamilie, aber dann wollte er immer auch mit Ren sprechen.
Ich belauschte sie nicht, aber man musste kein Hellseher sein um zu wissen, dass etwas im Busch war, denn sie sprachen mit gedämpfter Stimme und wechselten manchmal ins Hindi. Gelegentlich hörte ich eigenartige Begriffe heraus: Yggdrasil, Nabelstein und Noes Berg. Sobald Ren auflegte, fragte ich ihn immer, worüber sie geredet hatten, aber er lächelte mich dann an und versicherte, ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen oder dass es geschäftlich gewesen wäre oder sie in einer Konferenzschaltung mit Leuten gewesen wären, die nur Hindi sprachen. Ich erinnerte mich an die E-Mail von Mr. Kadam mit den Dokumenten und hatte den leisen Verdacht, dass Ren etwas vor mir geheim hielt. Doch nach den Telefonaten war er so unbeschwert und aufrichtig glücklich, bei mir zu sein, dass ich meine Befürchtungen bis zum nächsten Telefonat vergaß.
Ren schrieb kleine Gedichte auf Zettel und versteckte sie in meiner Tasche, damit ich sie während meiner Kurse fand. Einige waren berühmte Verse, andere stammten aus seiner eigenen Feder. Ich klebte sie in mein Tagebuch und behielt eine Kopie meiner beiden Lieblingsgedichte stets bei mir.
Seine Gedanken und Gefühle zu lesen, entschädigte mich für Rens begrenzte Zeit in Menschengestalt. Nicht ganz. Aber beinahe.
Eines Tages nach Kunstgeschichte holte mich Ren überraschend ab.
»Woher wusstest du, wo mein Kurs ist?«
»Ich bin einfach deiner Spur gefolgt. War leicht wie Pfirsichkuchen mit Sahne, den du mir zu backen versprochen hast.«
»Ich erinnere mich vage«, lachte ich, und wir gingen gemeinsam in Richtung Sprachlabor, um ein Video zurückzubringen, das ewig bei mir herumgelegen hatte.
Hinter dem Schalter des Multimediacenters stand Artie.
»Hi, Artie. Ich bringe nur rasch ein Video zurück.«
Er schob sich die Brille auf dem Nasenrücken zurecht. »Ah, ja. Ich hatte mich schon gefragt, wo es stecken könnte. Du hast die Ausleihfrist überschritten, Kelsey.«
»Ja. Tut mir leid.«
Er stellte es in die Lücke, die er wahrscheinlich all die vielen Wochen angestarrt und die ihn langsam in den Wahnsinn getrieben hatte. »Ich bin froh, dass du den Anstand besitzt, es endlich zurückzubringen.«
»Ja, ich bin der Anstand in Person. Bis bald, Artie.«
»Warte mal, Kelsey. Du hast mich nicht zurückgerufen, was wohl bedeutet, dass dein Anrufbeantworter kaputt ist. Es ist zwar etwas schwierig, und ich müsste mit meinen Terminen jonglieren, aber ich könnte dich nächsten Mittwoch noch einschieben.«
Er zückte Stift und Terminkalender und kritzelte bereits meinen Namen hinein. Wie kann er nur den großen, durchtrainierten Mann hinter mir übersehen?
»Hör zu, Artie, ich bin jetzt mit jemandem zusammen.«
»Ich glaube nicht, dass du das gründlich überdacht hast, Kelsey. Unser Date war etwas ganz Besonderes, und ich habe eine echte Verbundenheit zwischen uns gespürt. Ich bin sicher, wenn du noch einmal darüber nachdenkst, wirst du erkennen, dass du doch mit mir ausgehen solltest.« Er maß Ren mit einem kurzen Blick. »Ich bin eindeutig die bes sere Wahl.«
Verärgert rief ich: »Artie!«
Er schob sich wieder die Brille hoch und wollte mich mit seinem eindringlichen Blick zum Einlenken bewegen.
In dem Moment trat Ren zwischen uns. Widerstrebend löste Artie seine Augen von mir und sah Ren angewidert an. Die zwei Männer boten einen solchen Kontrast, dass sich mir ein Vergleich regelrecht aufdrängte. Während Artie einen weichen Schmerbauch vor sich hertrug, war Ren dünn, mit breiter Brust und kräftigen Armen. Und – da ich seinen nackten Oberkörper gesehen hatte, konnte ich mich persönlich verbürgen, dass er noch dazu einen unglaublichen Waschbrettbauch besaß. Es wäre ihm ein Leichtes, Artie in den Boden zu rammen.
Artie war blass, hatte haarige Arme, eine rote Nase und tränende Augen. Ren hingegen konnte mit seinem Aussehen den Verkehr zum Erliegen bringen. Und das hatte er auch schon. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er war ein gebräunter, Fleisch gewordener Adonis. Es konnte vorkommen, dass Mädchen stolperten und gegen Bäume liefen, wenn sie seiner ansichtig wurden. Nichts davon schien Artie zu beeindrucken. Dafür war er viel zu sehr von sich eingenommen. Mit Stolz geblähter Brust ließ er sich von Rens Großartigkeit nicht einschüchtern.
»Und du bist …?«, näselte Artie.
»Ich bin der Mann, mit dem Kelsey zusammen
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