Pfand der Leidenschaft
Frau eines Zigeuners zu leben hatte.
Aber er wäre verdammt, wenn er zuließe, dass sie ihren Weg durch diese unbarmherzige, gnadenlose Welt ohne ihn beschreiten müsste.
Das Abendessen war eine trostlose Angelegenheit, nun, da die Westcliffs und St. Vincents nach Bristol abgereist waren und Leo in die Dorfschenke geflüchtet war, um dort Zerstreuung zu finden. Es war ein trostloser Abend. Amelia konnte sich nur schwer vorstellen, dass es draußen in der nassen Kälte besonders unterhaltsam war, aber Leo war wohl auf der verzweifelten Suche nach Gesellschaft, die ihn mit mehr Mitleid bedachte als seine Geschwister.
Merripen war auf seinem Zimmer geblieben und
hatte den Großteil des Tages geschlafen, eine Eigenschaft, die ihm überhaupt nicht ähnlich sah, und deshalb machten sich die Hathaways große Sorgen.
»Wahrscheinlich tut ihm die Ruhe gut«, sagte Poppy und wischte müßig ein paar Krümel von der Tischdecke. Ein Lakai huschte herbei und entfernte die Brösel mit einer Serviette und einer kleinen silbernen Schaufel. »Dann wird er schneller wieder gesund, nicht wahr?«
»Hat sich eigentlich jemand Merripens Schulter angesehen?«, fragte Amelia mit einem Seitenblick auf Win. »Es ist höchste Zeit, dass sein Verband gewechselt wird.«
»Ich kümmere mich gleich darum«, erwiderte Win sofort. »Und ich bringe ihm auch das Abendessen.«
»Beatrix wird dich begleiten«, erklärte Amelia.
»Ich kann das Tablett allein tragen«, protestierte Win.
»Das ist es nicht … Es gehört sich einfach nicht, dass du dich mit Merripen allein in einem Zimmer aufhältst.«
Win wirkte überrascht und runzelte die Stirn. »Ich brauche Beatrix nicht als Anstandsdame. Immerhin ist es doch bloß Merripen.«
Nachdem Win das Esszimmer verlassen hatte, sah Poppy zu Amelia. »Denkst du, dass Win wirklich nicht weiß, wie sehr er …?«
»Ich habe nicht die blasseste Ahnung. Und ich habe nie gewagt, das Thema anzusprechen, aus Sorge, dass sie auf einmal auf dumme Gedanken kommen könnte.«
»Ich hoffe, sie weiß es nicht«, flüsterte Beatrix. »Es wäre schrecklich traurig, wenn sie es täte.«
Amelia und Poppy warfen ihrer jüngsten Schwester fragende Blicke zu. »Weißt du denn, wovon wir sprechen, Bea?«, erkundigte sich Amelia ungläubig.
»Ja, natürlich. Merripen liebt sie. Das weiß ich schon lange, seit ich beobachtet habe, wie er ständig ihr Fenster geputzt hat.«
»Wie er ihr Fenster geputzt hat?«, fragten die beiden älteren Schwestern gleichzeitig.
»Ja, als wir noch im Haus am Primrose Place wohnten. In Wins Zimmer zeigte das Flügelfenster auf den großen Ahornbaum … erinnert ihr euch? Nach dem Scharlachfieber, als Win so lange das Bett hüten musste und zu schwach war, um ein Buch zu halten, hat sie einfach dort gelegen und stundenlang ein Vogelnest auf einem der Äste betrachtet. Sie beobachtete, wie die kleinen Meisen geschlüpft sind und zu fliegen lernten. Eines Tages beschwerte sie sich, dass das Fenster so schmutzig sei, dass sie kaum hinausschauen konnte und der Himmel immer so grau aussah. Von diesem Tag an hat Merripen das Fenster immer makellos sauber gehalten. Manchmal ist er auf eine Leiter gestiegen und hat die Scheibe von außen geputzt, und ihr wisst, wie sehr er sich vor großen Höhen fürchtet. Euch ist das nie aufgefallen?«
»Nein«, brachte Amelia nur mühselig hervor. Ihre Augen brannten. »Das habe ich nicht gewusst.«
»Merripen sagte, der Himmel solle immer strahlend blau für sie sein«, fuhr Beatrix fort. »Und das war der Moment, als ich mit Bestimmtheit wusste, dass er … Weinst du etwa, Poppy?«
Poppy benutzte eine Serviette, um sich die Augenwinkel abzutupfen. »Nein. I-Ich habe bloß etwas Pf-Pfeffer eingeatmet.«
»Ich auch«, stimmte Amelia ihr zu und schnäuzte sich die Nase.
Win trug ein leichtes Bambustablett, das mit einem Schälchen Fleischbrühe, Brot und Tee beladen war, zu Merripens Zimmer. Es war ein Stück harte Arbeit gewesen, bis die Küchenmägde eingewilligt hatten, dass Win das Tablett eigenhändig zu dem Verletzten bringen durfte. Die Bediensteten waren angewiesen, dass kein Gast von Lord und Lady Westcliff auch nur den kleinsten Finger rühren durfte. Win kannte jedoch Merripens heftige Abneigung gegen Fremde, und in seinem derzeitigen Zustand wäre er schrecklich widerspenstig und störrisch.
Als sich Win seinem Schlafgemach näherte, hörte sie bereits von Weitem, wie etwas mit einem lauten Poltern gegen eine Wand knallte. Darauf
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