Pfand der Leidenschaft
sind, sind schon viel zu lange vernachlässigt worden.«
»Dann ist es an der Zeit, dass sie eines lernen: Auf mich ist nur insofern Verlass, als ich die Menschen stets im Stich lasse, die auf mich angewiesen sind.« Leo warf Amelia einen belustigten Blick zu, doch seine Augen waren hart wie Stein. »Habe ich Recht, Schwesterherz?«
Mit sichtlicher Mühe zwang sich Amelia, ihre verkrampften Finger von der Gabel zu lösen. »Ich kann Euch versichern, dass sich Lord Ramsay aufopferungsvoll um die Bedürfnisse seiner Pächter kümmern wird«, erklärte sie behutsam. »Lasst Euch bitte nicht von seinen misslungenen Späßen beirren. Vielmehr hat er schon Pläne verlauten lassen, wie er die Pachtbedingungen verbessern kann, und er wird modernen Ackerbau studieren …«
»Wenn ich etwas studiere«, fuhr ihr Leo ins Wort, »ist es sicherlich der Boden einer guten Flasche Portwein. Die Pächter auf dem Ramsay Anwesen haben die Fähigkeit bewiesen, trotz einer gewissen Vernachlässigung alleine zurechtzukommen – sie brauchen mein Einmischen nicht.«
Einige Gäste verkrampften sich sichtlich bei Leos gedankenlosen Worten, andere lächelten gezwungen. Anspannung lag in der Luft.
Wenn sich Leo Lord Westcliff absichtlich zum Feind machen wollte, hätte er keinen besseren Weg wählen können. Westcliff sorgte sich von Herzen um diejenigen, die mit weniger Glück gesegnet waren als er selbst, und verachtete verschwenderische Adelige, die ihrer Verantwortung nicht nachkamen.
» Mist «, hörte Cam Lillian leise fluchen. Gerade als
ihr Gatte zu einer vernichtenden Rede ansetzen wollte, um dem anmaßenden jungen Viscount die Leviten zu lesen, stieß ein weiblicher Gast einen ohrenbetäubenden Schrei aus. Zwei weitere Damen sprangen von ihren Stühlen, gefolgt von mehreren Gentlemen, die bleich vor Entsetzen zur Mitte der Tafel starrten.
Jegliche Unterhaltung kam zum Erliegen. Als Cam den erschrockenen Blicken der anderen Gäste folgte, sah er … eine Eidechse! … die sich flink wuselnd an den Soßenschüsseln und Salzstreuern vorbeischlängelte. Ohne zu zögern streckte er die Arme aus, nahm das kleine Tier gefangen und hielt es in den hohlen Händen. Die Eidechse wand sich verzweifelt.
»Hab sie!«, triumphierte Cam.
Die Vikarsgattin fiel beinahe in Ohnmacht und sank leise seufzend auf ihrem Stuhl zusammen.
»Tut ihr nicht weh!«, rief Beatrix Hathaway besorgt. »Das ist mein Haustier!«
Die versammelte Gästeschar blickte von Cams Händen zum entschuldigenden Antlitz des jungen Mädchens.
»Ein Haustier? Welch eine Erleichterung«, sagte Lady Westcliff ruhig und sah zu ihrem Mann am anderen Ende des Tisches, der mit ausdrucksloser Miene dasaß. »Ich dachte schon, es sei eine neuartige englische Köstlichkeit, die da serviert wird.«
Eine leichte Röte schoss Westcliff ins Gesicht, und er blickte mit angespannter Konzentration zu Boden. Jedem, der ihn näher kannte, war durchaus bewusst, dass er sich mit aller Gewalt das Lachen verkniff.
»Du hast Schuppi mitgebracht?«, fragte Amelia ihre jüngste Schwester fassungslos. »Bea, ich habe dir doch gestern befohlen, sie auszusetzen!«
»Das habe ich auch versucht«, war Beatrix’ zerknirschte Antwort. »Aber nachdem ich sie in den Wald gebracht hatte, ist sie mir nach Hause gefolgt.«
»Bea«, sagte Amelia streng, »Reptilien folgen Menschen nicht nach Hause.«
»Schuppi ist keine gewöhnliche Eidechse. Sie …«
»Das besprechen wir draußen.« Amelia stand rasch auf, so dass sich alle Gentlemen genötigt sahen, sich ebenfalls von ihren Stühlen zu erheben, bevor sie Westcliff verlegen ansah. »Ich bitte vielmals um Verzeihung, Mylord. Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet …«
Der Earl nickte bedächtig.
Ein anderer Mann … Christopher Frost … starrte Amelia derart durchdringend an, dass sich Cam die Nackenhaare sträubten. »Darf ich behilflich sein?«, fragte Frost. Seine Stimme war bar jeder Emotion, aber dennoch war Cam bewusst, wie sehr es dem Mann auf den Nägeln brannte, ihr ins Freie zu folgen.
»Vielen Dank, doch das ist nicht nötig«, erwiderte Cam mit samtener Stimme. »Wie Ihr seht, habe ich schon alles in die Hand genommen. Zu Euren Diensten, Miss Hathaway.« Und mit diesen Worten begleitete er die Schwestern aus dem Raum.
Achtes Kapitel
Cam führte die beiden Hathaway-Schwestern durch hohe Flügeltüren aus dem Esszimmer in einen Wintergarten, der ungewöhnlich karg eingerichtet war. Lediglich ein paar Sessel aus Bambus und eine
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