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Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman

Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman

Titel: Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carin Gerhardsen
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vorzustellen, was in diesem Augenblick in Sofies Kopf vor sich gegangen war. Sie hatte sich geschmeichelt gefühlt, und da sie neugierig auf ihre neuen Arbeitskollegen war, hatte sie das Angebot dankend akzeptiert, ihr Tablett genommen und Britt-Marie zu dem anderen Tisch begleitet. Bevor sie ging, hatte sie den Kopf auffordernd zur Seite gelegt und Thomas gefragt, ob er nicht auch bei den anderen sitzen wolle. Er war schon halb aufgestanden, als er doch noch seine Meinung änderte. »Nein, ich esse immer hier«, hatte seine dämliche Antwort gelautet, worauf Sofie ihn mit einem angedeuteten Achselzucken verlassen hatte. Seitdem hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt. Doch er sah sie oft in lebhaftem Gespräch mit anderen Kollegen. Gespräche, die oft von normaler Lautstärke in einen Flüsterton wechselten, sobald er auftauchte.

    Zu Hause hatte er immerhin das Fernsehen, die Bücher und die Zeitungen als Gesellschaft. Vor allem die fröhlichen, lachenden und lärmenden Stimmen aus dem Fernseher entführten ihn aus der Enge seiner Wohnung auf Abenteuer in die weite Welt und in die Wohnzimmer anderer Familien. Er liebte das Familienprogramm mit Gesang und Spielen und einem fröhlichen Publikum in Feststimmung, mit aufgedrehten Moderatoren und gut aussehenden Künstlern in glitzernden Kostümen. Sie ließen ihn seine Einsamkeit vergessen. Sie schauten ihm in die Augen und sagten: »Du.« Es gab nicht so viele Menschen draußen in der Welt, die das taten. Er war ja kaum ein »Ich«, das der Rede wert war, aber noch weniger war er ein »Du«.
    Gleich würde er sich Klassentreffen anschauen. In dieser Sendung traf eine bekannte Persönlichkeit nach vielen Jahren ihre alte Schulklasse wieder, um anschließend in einem Spiel gemeinsam mit den Klassenkameraden gegen eine andere Berühmtheit und deren alte Klasse anzutreten. Thomas fand es faszinierend, wie die Klassen dort zusammensaßen. Fröhlich und ausgelassen erinnerten sie sich an all das Lustige, was sie in ihrer Schulzeit erlebt hatten. War es denn nicht so, dass es in jeder Klasse jemanden wie ihn gab? Vielleicht nicht, vielleicht war er auf seine Weise ja wirklich einmalig. Er persönlich hätte nie bei einer Sendung wie Klassentreffen mitgemacht, und es hätte ihn auch niemand vermisst. Niemand würde sich daran erinnern, dass er einmal in diese Klasse gegangen war. Er selbst konnte sich an alle seine Klassenkameraden erinnern, sogar an die aus der Vorschulklasse. Er konnte dasitzen und sich alte Klassenfotos anschauen und, ohne zu stocken, sämtliche Vor- und Nachnamen der Abgebildeten aufsagen. Trotzdem war er überzeugt, dass keiner von ihnen ihn wiedererkennen würde. Eigentlich seltsam, wenn man daran dachte, dass er eigentlich doch immer gesehen worden war, dass er immer aufgefallen war. Er hatte den albernsten Gang, die hässlichsten Kleider, sagte die dümmsten Sachen, war der schlechteste Fußballspieler und von allen Jungen der schwächste.
    Die Sendung hatte noch nicht begonnen, noch lief die kurze Nachrichtensendung. Plötzlich lächelte ihn jemand an. Ein schönes Lächeln in einem braun gebrannten Gesicht, umrahmt von einem üppigen, lockigen hellblonden Haarschopf.
    »Carina Gustavsson«, verkündete der Nachrichtensprecher, »eine vierundvierzigjährige Flugbegleiterin, ist am Freitagabend in ihrem Haus vor den Toren Sigtunas ermordet aufgefunden worden.«
    »Gustavsson?«, murmelte Thomas. »Carina Ahonen …«
    »Dem Mord waren schwere Misshandlungen vorausgegangen, die die Polizei als Folter bezeichnete. Der Täter befindet sich immer noch auf freiem Fuß. Die Ermittler haben jedoch zahlreiches Beweismaterial sicherstellen können und gehen davon aus, dass der Mörder in den kommenden Tagen gefasst werden wird. Das Tatmotiv ist nach wie vor ungeklärt, die Polizei hält es jedoch angesichts der an den Tag gelegten Brutalität nicht für ausgeschlossen, dass es sich um einen Racheakt handelt.«
    Anschließend folgten ein Beitrag mit Aufnahmen vom Tatort und ein Interview mit einem vor Ort anwesenden Sprecher der Polizei.
    Eine Welle des Unbehagens durchlief seinen Körper, und er fühlte sich plötzlich vollkommen machtlos, fast wie gelähmt. Als würde er den Halt unter den Füßen verlieren. Er musste irgendetwas tun, statt einfach hier zu sitzen und zu warten. Sein Blick flackerte unruhig zwischen dem Fernseher und der nackten Strukturtapete hin und her. Er schaute auf seine Hände hinunter und entdeckte, dass sie zitterten. Sein

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