Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman
unpersönlichen Küche. Aus der Diele war kein Laut zu hören. Gab es so viel über ihn aufzuschreiben?
»Wäre das möglich?«, wiederholte der Polizist.
Thomas wagte nicht, ihm in die Augen zu schauen. Er räusperte sich ein weiteres Mal und erzählte stotternd das wenige, was es über sein inhaltsloses Leben zu berichten gab.
»Sie waren doch in der Vorschule. Erzählen Sie mir davon«, forderte der Polizist ihn auf.
Thomas war, als hätte er plötzlich einen Eisklumpen im Bauch.
»Von der Vorschule?«
»Ja, genau. Ich möchte wissen, was Sie in der Vorschule so erlebt haben.«
»Ich weiß nicht … Vorschule? Das ist lange her.«
»Hat es Ihnen dort gefallen? Mit wem haben Sie gespielt? Haben Sie noch Kontakt zu jemandem aus dieser Zeit?«
»Kontakt? Nein, keinen Kontakt.«
Thomas knetete seine Hände, die mittlerweile vollkommen verschwitzt waren. Was sollte er sagen? Er wollte die Polizei nicht belügen, aber die Wahrheit konnte man nicht in Worte kleiden, die Wahrheit lag wie ein grauer Schleier über dem ganzen Dasein.
»Darf ich Sie bitten, meine Fragen zu beantworten«, ermahnte ihn der Polizist, und seine Stimme schnitt wie ein Messer in Thomas’ Ohren.
»Die Kindheit … war eine schöne Zeit. Es war lustig in der Vorschule. Wir haben gemalt … und gespielt. Ich habe immer mit … Nein, daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Warum sehen Sie mir nicht in die Augen?«, fragte der Polizist, mittlerweile nicht mehr ganz so freundlich. »Sie lügen mich doch nicht an?«
»Lügen? Nein. Ich habe mit einem Mädchen namens Katarina gespielt«, log Thomas.
Sie hatten nie miteinander gespielt, sie hatten nicht einmal miteinander gesprochen, soweit er sich erinnern konnte. Aber was hätte er sagen sollen?
»Dann hätte ich gerne noch Ihre Fingerabdrücke«, sagte der Polizist und stellte etwas vor ihn auf den Tisch, das wie ein Stempelkissen aussah. »Alle Finger, ein Abdruck auf jedes dieser Kästchen hier.«
Er deutete auf ein Blatt Papier mit zehn vorgedruckten Kästchen. Thomas legte eine Hand auf den Tisch, und der Polizist berührte sie. Die Hand war so feucht, dass die Hand des Polizisten wieder zurückzuckte, und Thomas spürte, dass er schon wieder ganz rot im Gesicht wurde. Der Puls donnerte in seinen Ohren, und er wünschte sich, dass sie ihn jetzt endlich in Frieden lassen würden. Aber er drückte gehorsam die Finger in das Stempelkissen und anschließend auf die raue Oberfläche des Papiers, einen nach dem anderen.
»Es ist eine Reihe brutaler Morde verübt worden«, sagte der Polizist, nachdem Thomas alles getan hatte, was ihm aufgetragen worden war. Dann schaute der Polizist ihn durchdringend an.
Thomas hatte das Gefühl, als müsse er gleich weinen, und ein großer, schmerzhafter Klumpen wuchs in seinem Hals. Er sagte nichts, versuchte nur, so gut es ging, dem unheimlichen Mann in die Augen zu sehen.
»Vier Ihrer Klassenkameraden aus der Vorschule sind in den vergangenen Wochen ermordet worden«, fuhr der Polizist fort, »und wir haben Grund zu der Annahme, dass auch Sie in Gefahr schweben könnten. Deshalb möchten wir Sie bitten, ganz besonders vorsichtig zu sein. Lassen Sie keine fremden Menschen in Ihre Wohnung. Das war es von unserer Seite, aber wir lassen wieder von uns hören.«
Er stand auf und gab Thomas eine Art Klaps auf den Rücken. Es war unmöglich herauszufinden, ob es eine freundschaftliche, eine mitleidige oder eine drohende Geste sein sollte, aber das Gefühl, das diese Berührung hinterließ, spürte er noch lange auf der Haut unter seinem Hemd, ein Gefühl, als hätte er sich verbrannt. Er blieb auf dem Stuhl sitzen, bis er hörte, wie die beiden Polizisten die Tür hinter sich schlossen. Dann erhob er sich. Auf unsicheren Beinen ging er in sein Zimmer und legt sich aufs Bett. Er lag lange da und weinte, und als die Anspannung schließlich nachließ, schlief er so ein, wie er dort lag, vollständig angezogen, zusammengerollt wie ein Embryo.
MONTAGVORMITTAG
Um acht Uhr am Montagmorgen versammelte sich die Ermittlungsgruppe im Besprechungsraum, um die Ergebnisse der Befragungen vom Sonntagabend zu besprechen. Hadar Rosén und Gabriella Hansson saßen mit am Tisch, die Kollegen aus Katrineholm, Skärholmen und Sigtuna waren per Telefonkonferenz zugeschaltet. Das erwartungsvolle Schweigen wurde nur durch ein gelegentliches Gähnen unterbrochen. Westman versuchte, Blickkontakt zu Rosén aufzunehmen, aber als es ihr endlich gelang, war sein Gesicht vollkommen
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