Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman
Schritt Schmerzen empfinden. Immer wieder hielt sie inne und stocherte mit dem Fuß in einem Haufen alten, vergammelten Herbstlaub herum oder in einer der mit schwarzem Staub überzogenen Schneewehen, die an das Winterwetter des vergangenen Tages erinnerten. In der einen Hand trug sie einen kleinen Koffer, während sie die andere tief in ihrer Manteltasche vergraben hatte. Den Kragen hatte sie hochgeklappt, um sich gegen den kalten Wind zu schützen. Als sie das wohlbekannte schwarze Eisentor passierte, blieb sie stehen und schaute lange in den großen Garten mit seinen Obstbäumen hinüber. Obwohl es helllichter Tag war, war die Außenbeleuchtung eingeschaltet, und das alte rosa Holzhaus sah trotz der dichten, hohen Hecke, die es umgab, einladend aus. Nach einer Weile ging sie mit denselben langsamen Schritten weiter. Nach etwa fünfzig Metern aber kehrte sie wieder um und ging langsam zu dem Eisentor zurück, wo sie erneut nachdenklich stehen blieb.
Thomas folgte ihr neugierig. Er hatte sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, aber sie hatte sich kaum verändert. Bald würde er genug Mut aufbringen, sich ihr zu erkennen zu geben, aber erst wollte er sie noch eine Weile beobachten.
Er hatte sich gut versteckt. Er hatte sich hinter ein Auto gehockt, das ein Stück weiter unten auf der anderen Straßenseite stand. So würde sie ihn auch dann nicht sehen können, wenn sie wider Erwarten einen Blick in diese Richtung werfen würde. Sie ging noch ein paar Mal auf und ab, bevor sie schließlich mit großer Anstrengung das schwere Tor öffnete und den Kiesweg betrat, der zum Haus hinaufführte. Thomas kam aus seinem Versteck hervor und überquerte mit schmerzenden Knien die schmale Straße. Mit entschlossenen Schritten folgte er dem Bürgersteig bis zum Tor, und als er sich gerade duckte, um einigen kahlen Zweigen auszuweichen, die sich aus einem angrenzenden Garten über den Bürgersteig neigten, hörte er hinter sich ein Motorengeräusch. Er drehte sich instinktiv um und schaute nach dem Auto. Mit Schrecken erkannte er, dass die Polizistin, die gestern bei ihm gewesen war, hinter dem Steuer saß. Sie verlangsamte die Fahrt, fuhr neben ihm an die Bordsteinkante und drehte das Fenster herunter. Thomas spürte, wie ihn die Angst, die er gestern verspürt hatte, erneut überfiel, und ohne zu wissen warum, begann er zu laufen.
*
Petra Westman saß im Auto und war auf dem Weg zu Ingrid Johanssons Haus in Enskede. Sie hatte Angst vor dem, was nach Dienstschluss in Hadar Roséns Büro passieren würde. Sie wusste nicht, ob sie ihn überzeugt hatte, denn er gehörte nicht zu den Typen, die sich ihre Gefühle anmerken ließen – wenn es sich nicht gerade um Wut handelte. Entweder würde er der Dienstaufsicht empfehlen, ihr eine Abmahnung zu erteilen, oder er würde ihre eigenmächtigen Ermittlungen decken und Peder Fryhk festnehmen lassen. Beide Möglichkeiten würden reichlich Grund zum Nägelkauen liefern, doch Nägelkauen war nicht ihre Art. Stattdessen war ihr Magen in Aufruhr, und sie hatte schon einige Male die Toilette aufsuchen müssen.
Als sie in den malerischen Åkerbärsvägen einbog, gelang es ihr, die Gedanken an ihre Verabredung mit dem Staatsanwalt für eine Weile zur Seite zu schieben. Stattdessen dachte sie darüber nach, dass sie irgendwann einmal genau so wohnen wollte. In einem alten, schönen Haus mit einem ausgewachsenen Garten und prächtigen Stockrosen, einem kleinen Gemüsegarten, in dem sie buddeln konnte, und einem Rasen, auf dem der Hund herumtollte. Und vielleicht auch die Kinder, falls sie denn welche haben würde. Nette Nachbarn, mit denen man unter den Obstbäumen sitzen und Wein trinken könnte. Oder grillen oder Krocket spielen. Jetzt im November sah es leer und verlassen aus, aber im Frühling und im Sommer würde die Gegend blühen, da war sie sicher. Die warmen Kleider wurden abgelegt, und die Kinder spielten Fußball oder Himmel und Hölle auf der Straße.
Plötzlich erblickte sie einen Mann, der sich in geduckter Haltung auf dem Bürgersteig bewegte. Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als er sich zu ihr umdrehte und ihr direkt in die Augen schaute. Das war doch dieser Typ von gestern, Thomas Karlsson! Was hatte der hier zu suchen? Instinktiv fuhr sie neben ihm an den Straßenrand und kurbelte das Seitenfenster herunter. Doch bevor sie etwas sagen konnte, nahm er die Beine in die Hand und begann wegzurennen. Sie stieß die Fahrertür
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