Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman
Petra versuchte, sich so viel wie möglich davon einzuprägen.
Erneut erkannte sie eine Eigenschaft von Sjöberg in diesem Mann wieder. Er sprang auf dieses Thema wirklich an, er war dermaßen engagiert, dass die Funken nur so sprühten. Und sein Enthusiasmus war ansteckend.
»All diese palästinensischen Flüchtlinge hatten im Libanon keinerlei Rechte, sodass bereits damals die Unzufriedenheit zu wachsen begann. Israel seinerseits fürchtete die Araber, die es von allen Seiten umgaben, also schlossen sie Bündnisse mit allen Nicht-Arabern, die sie in ihrer Nähe finden konnten, darunter auch mit den Maroniten im Libanon. Unterdessen kämpfte Ägyptens Präsident Nasser für seinen arabischen Nationalismus, und am Ende der sechziger Jahre zwang er die Regierung des Libanons, die nichts dagegen unternehmen konnte, die südlichen Teile des Landes der PLO für Angriffe auf Israel zu überlassen. Der Südlibanon wurde ein palästinensischer Staat. Damals kam die Gewaltspirale in Gang, könnte man sagen. Und Syrien selbst hatte diese französische Erfindung, Libanon zu einem eigenen Staat zu machen, ohnehin niemals anerkannt. Als der Bürgerkrieg also 1975 begann, half Syrien zunächst den Palästinensern dabei, den Christen den Garaus zu machen, und anschließend den Maroniten, die Palästinenser zu ermorden. Am Ende bekamen sie ihren Willen. Mit Israels Zustimmung besetzte Syrien den Libanon unter der Voraussetzung, dass sie die PLO im Südlibanon in Schach halten würden. So weit alles klar?«
»Es waren also alle unzufrieden, und sie hatten auch ihre guten Gründe dafür«, sagte Petra und trank ihr Bier aus.
Peder Fryhk schob ihr ein Weinglas hinüber.
»Genauso war es. Und es wurde immer schlimmer. Sagte er, dass er aus dem Südlibanon kommt, dein Kollege?«
»Ja, aber sie sind dann nach Beirut gezogen«, bestätigte Petra.
»Neue nationalistische Machthaber in Israel hatten sich vorgenommen, den palästinensischen Staat im Südlibanon zu zerstören, also marschierten sie ein, vertrieben die Syrer aus Beirut und setzten ein christliches Regime ein. Syrien ließ unmittelbar darauf den neuen christlichen Präsidenten ermorden, und die Maroniten begannen ihrerseits, palästinensische Zivilisten in den Flüchtlingslagern abzuschlachten. Die PLO verlegte ihr Hauptquartier nach Tunis, aber wie du dir denken kannst, blieb das Fußvolk im Südlibanon zurück und genoss natürlich großen Rückhalt bei allen ›alten‹ Palästinensern im Land, die seit 1948 in einer Art Apartheid gelebt hatten. Jetzt, während der Abwesenheit der PLO , bildete sich die Hisbollah.«
»Was ja nicht besonders überraschend war«, ergänzte Petra.
»Nein, ganz und gar nicht. Und jetzt gab es einen lange andauernden Krieg zwischen der Hisbollah und Israel, der sich im Südlibanon abspielte.«
»Aber was haben die Libanesen im Südlibanon getan?«
»Sie waren friedliche schiitische Bauern, die sich aus allem herauszuhalten versuchten. Viele von ihnen flohen in den Süden Beiruts, der sich zu einer Hisbollah-Enklave entwickelte, in der ihre Söhne zu waschechten Kindersoldaten mit großer Opferbereitschaft ausgebildet wurden.«
»Weil sie alles verloren hatten und keine Zukunft mehr für sich sahen«, seufzte Petra. »Daraus wird dann ein echter Teufelskreis. Wann war das?«
»Die Hisbollah wurde 1982 gegründet«, sagte Peder. »Prost.«
Petra nippte an ihrem Wein, und plötzlich wurde ihr klar, warum Papa Hamad mit seiner Familie den Libanon verlassen hatte. Und was Jamal mit seiner letzten Antwort gemeint hatte, bevor er die Bar verlassen hatte. Was er mit all seinen Worten im Grunde sagen und warum er es nicht erklären wollte. Und was für eine ungebildete Null sie eigentlich war. Zweimal hatte sie sich in der Schule durch die Weltgeschichte hindurchgearbeitet, erst in der Volksschule, dann auf dem Gymnasium. Beide Male waren sie nicht weiter gekommen als bis zum Ersten Weltkrieg. Die Steinzeit und die Wikinger und Schwedens Königslisten waren ihr schon zu den Ohren wieder herausgekommen, aber die Konflikte im Nahen Osten hatten sie nicht einmal peripher berührt. Ebenso wenig wie alle anderen Unruheherde der modernen Welt.
Peder erzählte weiter von der Einmischung der USA und der übrigen Welt in die libanesische Politik, von Syriens Wiedereroberung und dem erneuten Abzug aus dem Libanon, dem Mord an Rafiq Hariri und der aktuellen Situation. Petra hörte mit großem Interesse zu. Sie hoffte, dass all diese nützlichen
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