Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman
aus meiner Kindheit. Die Zigarette erlischt nach einer Weile, und ich frage mich, wie sich ein bisschen Salz in einer Wunde anfühlen könnte. Also hole ich Salz aus der Küche und schütte es in die Wunde, aber es scheint sich überhaupt nicht gut anzufühlen, und ich erkläre ihr, wie sich Einsamkeit und Selbstverachtung anfühlen. Die körperliche Gewalt beginnt, mich zu ermüden, denn eigentlich bin ich überhaupt kein körperlicher Mensch, sondern bewege mich lieber auf der mentalen Ebene. Mir fällt nichts mehr ein, das ich ihr sagen könnte, also ziehe ich zum letzten Mal das Laken aus ihrem Mund und bitte sie freundlich, mich aus der Tiefe ihres Herzens um Verzeihung zu bitten, dann wäre es vorbei, und sie tut es, und ich erwürge sie, und dann ist es vorbei.
Nicht ohne eine gewisse Zuversicht sitze ich nun wieder hier und schütte mein Herz über das Böse im Menschen – und in mir selbst – aus. Jetzt bin ich nicht mehr viel besser als sie, was ich eigentlich noch nie gewesen bin, aber heute sind die Rollen vertauscht. Heute sind sie die Opfer, und ich bin der Täter. Ich bin an einem Wendepunkt in meinem Leben angekommen und habe aufgehört, mich selbst zu bemitleiden. Ich entscheide mich für das Handeln und gegen die Grübelei. Die Zeit der Nabelschau ist abgelaufen, und die Stunde der Rache hat geschlagen.
Stell dir vor, dass Ann-Kristin – die süße, starke, taffe, selbstsichere, unschlagbare Ann-Kristin – ihre Tage als simple Nutte in einem unmenschlichen Vorort aus grauem Beton beendete! Was für ein schwindelerregender Gedanke. In Wirklichkeit habe ich ihr vielleicht einen Dienst erwiesen, indem ich dem Ganzen ein Ende bereitet habe. Na ja, die letzte halbe Stunde ihres Lebens hätte sie wohl gerne gegen weitere fünfzig Jahre Bordell im Betonghetto getauscht.
Und was habe ich durch die Geschehnisse der letzten Tage gewonnen? Glück? Selbstachtung? Glückliche Kindheitserinnerungen und eine unbeschwerte Jugend? Nein! Nicht einmal Gerechtigkeit konnte ich wiederherstellen, denn gerecht wäre es gewesen, wenn sie achtunddreißig Jahre lang hätten leiden müssen und ich achtunddreißig glückliche Jahre vor mir gehabt hätte. Aber für beides ist es leider zu spät. Eine kaputte Kindheit kann man nicht mehr reparieren. Nicht mehr vergessen, nicht mehr ändern, nicht mehr hinter sich lassen. Was ist das für eine Welt, in der kleine, glückliche Sonntagskinder wie Hans und Ann-Kristin einfach so das Leben anderer, weniger vom Glück verwöhnter Menschen zerstören dürfen?
Was ich in diesen vergangenen Tagen meines erbärmlichen Lebens gewonnen habe, ist Rache. Was meinem Leben wiederum eine neue und spannende Dimension verliehen hat – die des Wahnsinns. Die fünf Dimensionen des Lebens: rechts-links, oben-unten, rein-raus, tick-tack und ku-ku. Sie haben meine Zeit gestohlen, und ich habe ihnen ihre genommen – ku-ku, meine neue wahnsinnige Dimension.
SAMSTAGMORGEN
Vorsichtig drehte sie den Kopf und stellte fest, dass sie allein im Bett war. Vorsichtig robbte sie sich in eine sitzende Position und schaute sich um. Das Licht war ausgeschaltet, aber eine Tür, die in ein Badezimmer führte, stand ein Stück offen, und von dort strömte genug Licht herein, dass sie sich ein Bild von dem Zimmer machen konnte, in dem sie sich befand. Es war sparsam, aber modern eingerichtet. In der Wand rechts von ihr befand sich ein Fenster mit einer Design-Jalousie. Auf der Fensterbank stand ein großer, viereckiger Blumentopf aus einem grauen, betonartigen Material mit einer gepflegten Pflanze, deren Namen sie nicht kannte. Direkt vor ihr war eine Wand mit eingebauten weißen Kleiderschränken und links daneben eine geschlossene Tür. Links von ihr befand sich das Badezimmer. Das große Doppelbett war mit teuren Laken aus ägyptischer Baumwolle in beigen und braunen Tönen bezogen. Auf beiden Seiten gab es kleine, an der Wand befestigte Nachttische. Auf dem Nachttisch an ihrer Seite standen zwei leere Bierflaschen. Hatte sie tatsächlich noch mehr getrunken? Hinter ihr waren ein verkleideter Bettrücken und zwei Wandleuchten, an der Decke vier eingebaute Lautsprecher und eine Schiene mit Spotlights.
Verdammt. Alles tat weh, und ihr Herz galoppierte. Voll wie ein Amtmann und keine Ahnung, wo sie sich befand. In einem Hotelzimmer vielleicht? Dann war es eher eine Suite. In einem sehr teuren Hotel. Wie hatte sie nur so abgrundtief dämlich sein können? Warum hatte sie die Bar nicht zusammen mit Jamal
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