Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman
alles nur verschwommen, aber es gelang ihr, ins Badezimmer zu kommen und die Tür hinter sich zu schließen, ohne allzu viel Lärm zu erzeugen. Als sie sich umschaute, stellte sie schnell fest, dass sie sich bei jemandem zu Hause befand und nicht in einem Hotel. Das Badezimmer war der feuchte Traum eines Designers. Groß und luftig, italienische Fliesen mit Mosaik, Whirlpool und Duschecke mit Glastüren. An Duschen war gar nicht zu denken, nicht hier. Sie wollte nach Hause, so schnell wie möglich, und ihren Rausch im eigenen Bett ausschlafen. Alles abwaschen, was mit dieser verdammten Nacht zu tun hatte.
Sie wollte gerade die Kondome in der Toilette verklappen, aber irgendetwas hielt sie zurück. Irgendwo tief im Nebel ihres Bewusstseins existierte ein kleiner, nagender Zweifel. War sie nicht vielleicht doch vergewaltigt worden? So voll und kokett sie gestern Abend auch immer gewesen sein mochte, es hatte doch niemand das Recht, diese Situation auszunutzen. Sex mit einer bewusstlosen Frau war dasselbe wie eine Vergewaltigung. Selbst wenn sie den größten Teil der Schuld auf sich nahm, hatte kein Mann das Recht, das zu tun. Nicht nach dem Gesetz und nicht nach dem Urteil eines gesunden Menschenverstands.
Sie stand eine Weile vor ihrem eigenen Spiegelbild und dachte nach. Lang und schlank mit glattem, aschblondem Haar, das ihr bis zu den Schultern reichte und von einem geraden Scheitel in der Mitte geteilt wurde. Die Farbe ihrer Augen war undefinierbar, vielleicht waren sie braun oder dunkelgrau. Sie selbst zog es vor, sie als grün zu bezeichnen. Sie hatte dünne Lippen, ihre Nase war schmal und ziemlich spitz und hatte – ihrer Ansicht nach – genau die richtige Größe. Sie weigerte sich, ihren Blick weiter nach unten wandern zu lassen, dieses Badezimmer war der falsche Ort, um nackt darin herumzustehen.
Sollte sie die Kondome mitnehmen? Der Mann, der sie benutzt hatte, würde sich vielleicht fragen, wo sie geblieben waren. Andererseits hatte sie vorgehabt, sie die Toilette hinunterzuspülen, was hätte sie denn sonst damit tun sollen? Aber nein, sie wollte kein unnötiges Risiko eingehen, wollte keinen Verdacht erregen. Hatte sie nicht eine Packung Kondome in der Handtasche?
Sie zog zwei Stück heraus, und mit unsicheren Fingern und verschwommenem Blick gelang es ihr, ungefähr die Hälfte des unappetitlichen Inhalts der beiden Kondome in zwei ihrer eigenen umzufüllen. Die beiden benutzten verknotete sie und stopfte sie in ein kleines Fach mit Reißverschluss in ihrer Handtasche. Die neuen legte sie vorsichtig auf die Ablage über dem Waschbecken, sodass der Inhalt nicht herauslaufen konnte. Dann zog sie sich an, nahm die Kondome zwischen die Fingerspitzen und öffnete geräuschlos die Tür zum Schlafzimmer. Sie schlich zum Bett hinüber und legte die Kondome ungefähr dort ab, wo sie die beiden anderen gefunden hatte. Sie nahm die Bierflaschen vom Nachttisch, schüttete respektlos die letzten Tropfen ins Bett und stopfte sich die beiden Flaschen ebenfalls in die Handtasche.
Im Kopf fühlte sie sich jetzt klar, trotz der pochenden Schmerzen hinter ihren Schläfen. Mit ihrem Gleichgewichtssinn jedoch war es schlechter bestellt. Am allerliebsten hätte sie sich einfach wieder hingelegt und geschlafen. Doch sie musste unbedingt weg von hier, und sie hoffte, dass sie dabei dem Mann nicht begegnen würde, mit dem sie die Nacht verbracht hatte. Mit großer Willenskraft gelang es ihr, die Kontrolle über ihre Beine zu gewinnen.
Vorsichtig drückte sie die Türklinke hinunter, und ohne einen Laut von sich zu geben, glitt die Tür auf. Vor ihren Augen öffnete sich ein großer Raum, der den Begriff »offener Grundriss« geradezu verkörperte. Unter einer hohen Decke gingen Esszimmer, Wohnzimmer und Küche auf einer Fläche, die größer war als die ihrer gesamten Wohnung, ineinander über. Jedes Einrichtungsdetail entsprach dem Trend der Zeit: helle Hölzer, große Fenster ohne Gardinen und kein Schnickschnack. Sie befand sich in einem Einfamilienhaus. Direkt rechts von ihr bemerkte sie eine Treppe, die in den Keller hinunterführte. Sie hatte das Gefühl, dass sich dort unten jemand aufhielt. Sie meinte, leise Geräusche zu hören.
Am gegenüberliegenden Ende des großen Raums lagen die Diele und die Tür nach draußen. Auf dem Weg dorthin entdeckte sie ihre Stiefel und ihren Mantel, der fein säuberlich auf einem Kleiderbügel hing. Als sie an der Küche vorbeikam, stockte sie. Auf der Theke aus glänzendem
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