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Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman

Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman

Titel: Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carin Gerhardsen
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sie hörte so einem idiotischen Pärchen zu, das wegen einer Bratpfannenserie schier ausflippte. Sie fragte sich, ob sie wirklich so begeistert von den brillanten Ergebnissen waren, die diese Bratpfannen ablieferten, oder ob sie nur bezahlte Schauspieler waren. In dem Fall wären sie allerdings unheimlich gut. Genau wie das Publikum, das aufstand und applaudierte, als es die brillanten Ergebnisse präsentiert bekam. Sie kam zu dem Schluss, dass sie vermutlich echt waren, aber mit den Bratpfannen irgendwie getrickst worden war. So fantastische Bratpfannen hatte sie im wirklichen Leben jedenfalls noch nie gesehen, weder hier in Katrineholm noch anderswo.
    Sie zündete sich eine Zigarette an und schaltete auf ein anderes Programm um, um ihre englische Lieblingsserie zu sehen. Ein Rasseln im Briefschlitz und ein dumpfes Rumsen auf dem Flurboden signalisierten, dass die Post gekommen war. Sie erinnerte sich daran, dass heute Montag war, und hoffte, dass das Familienjournal draußen lag und auf sie wartete. Doch zuerst würde sie sich anschauen, wie es der Familie Dingle im Emmerdale ging.
    Sie sollte es nie erfahren. Zwanzig Minuten später war sie tot.

TAGEBUCH, NOVEMBER 2006, MONTAG
    Kaum vorzustellen, dass es so einfach war! Man tritt einfach für ein paar Minuten in das Leben anderer Leute und verlässt es dann wieder. Als wäre nichts geschehen. Das ist der Vorteil, wenn man ein so unsichtbarer Mensch ist wie ich. Man wird zwar nicht bemerkt, wenn man gerne bemerkt werden möchte, aber für den Fall, dass man nicht bemerkt werden möchte, ist es hervorragend.
    Ich gehöre dem unsichtbaren Volk an. Das unsichtbare Volk, das sich unabhängig von Wetter und Konjunkturen geduckt durchs Leben schlängelt. Für uns herrscht immer Konjunkturflaute, immer Nebel. Wir gehen ständig geduckt vor Angst, einen Faustschlag ins Gesicht zu bekommen oder einen Tritt in den Solarplexus. Vollkommen unnötigerweise, da uns ohnehin niemand sieht.
    Niemand sieht mich an und denkt: »Hübsche Frisur, ich glaube, ich lasse mir die Haare auch mal so schneiden.« Niemand sieht mich an und denkt: »Uh, was für eine hässliche Jacke! So was ist doch seit vielen Jahren schon nicht mehr modern!« Überhaupt niemand schaut mich an. Nicht, wenn ich im Weg stehe, nicht, wenn ich Türen aufhalte, nicht, wenn ich in der U-Bahn für jemanden den Platz freimache, und auch nicht, wenn ich gar nichts mache. Nicht mehr. Als Kind wurde ich gesehen. Von Kindern. Nicht von Erwachsenen. Als Kind leuchtete ich wie ein großes gelbes Schild, auf dem stand: »Schaut mich an, wie hässlich und lächerlich ich bin! Ich trage seltsame Kleidung und sage seltsame Dinge! Schlagt mich, und verhöhnt mich! Angebot, Angebot – tut mir weh! Prügelt alles Unnormale aus mir heraus, damit ein richtiger Mensch aus mir wird!« Aber es gelang ihnen nicht. Ich bin zwar erwachsen geworden, aber nicht normal.
    Niemand hat mich gesehen, als ich die Zugfahrkarte nach Katrineholm kaufte. Niemand hat mich gesehen, als ich auf meinem Platz saß und aus dem Fenster auf die Landschaft meiner Kindheit schaute. Die eichenbewachsenen Hügel und die Seen des Södermanlandes, seine verzauberten Wälder und Haine. Selbst in ihrer traurigen Novembertracht ist die södermanländische Landschaft die schönste der Welt. Dann hielt der Zug in Katrineholm. Mutter Natur schlägt uns ein Schnippchen – sogar die Sonne hat ihre Flecken.
    Ich spaziere den kurzen Weg entlang bis zu der Straße, in der ich als Kind gewohnt habe – und auch Lise-Lott. Vom Hauptbahnhof folgt man einfach ein Stückchen der Storgatan, die später in den Stockholmsvägen übergeht. Dann nach links in Richtung Östra Skolan, und schon ist man da. Sie wohnt immer noch hier, an diesem gottverlassenen Ort, nach all diesen Jahren. Wenn ich hiergeblieben wäre, wäre ich schon vor Jahren gestorben. Aber ich lebe – und Lise-Lott ist tot.
    Aber wir wollen den Ereignissen nicht vorgreifen. Ich gehe zwischen den Mietshäusern hindurch auf den Hof. Derselbe Hof, neue Spielgeräte für die Kinder. Ein paar Kinder spielen in der Sandkiste, und ihre Mütter sitzen auf einer Bank und schauen zu, ansonsten ist der Hof menschenleer. Die Büsche mit den großen weißen Beeren, die knallen, wenn man sie zertritt, stehen immer noch an den Hauswänden. Die Büsche waren so groß, dass man unter ihnen herumlaufen, Verstecken spielen und Hütten bauen konnte. Heute sehen sie ziemlich kümmerlich aus.
    Dort haben Lise-Lott und noch ein paar

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