Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman
holte, es zur Hälfte füllte und vor mir auf den Tisch stellte. Anschließend setzte sie sich mir gegenüber an den Tisch und trank einen Schluck aus ihrem eigenen Glas.
»Prost!«, sagte ich und hob das Glas, bevor ich es zum Mund führte.
Sie starrte übellaunig aus dem Fenster.
»Warum so abweisend?«, fragte ich.
»Was zum Teufel willst du eigentlich?«
»Hab ich doch gesagt. Wir sind zusammen in die Vorschule gegangen. Und jetzt habe ich mich bei strömendem Regen nach hier draußen in die Wildnis geschleppt, und du hast nicht einmal ein Lächeln für mich übrig? Nicht besonders gastfreundlich, wenn du mich fragst.«
Es leuchtete hinter der Backofentür, und mir wurde klar, dass der leckere Bratenduft von dort kam. Ein Plan begann, in meinem Bewusstsein Gestalt anzunehmen.
»Ich habe dich schließlich nicht eingeladen. Jetzt sag mir endlich, wer du bist.«
Aus der Gesäßtasche meiner Jeans zog ich ein abgegriffenes Schwarz-Weiß-Foto aus dem Jahr 1968, faltete es auseinander und legte es vor ihr auf den Tisch.
»Das bin ich«, sagte ich und deutete auf ein Kind, das im Schneidersitz in der vorderen Reihe auf dem Boden saß.
Urplötzlich eroberte ein Lächeln ihr Gesicht, und ganz schnell hatte sie sich selbst auf dem Bild gefunden, ganz oben in der rechten Ecke, direkt neben Tante Ingrid.
»Und das bin ich«, erklärte sie fröhlich.
»Ach, ich bin mir gar nicht sicher, ob ich dieses Foto habe.«
»Erkennst du noch jemanden auf dem Bild?«
»Die hier kann man leicht wiedererkennen«, antwortete sie mit dem Finger auf Ann-Kristins Bauch.
»Tot«, sagte ich und trank einen Schluck Wein.
»Tot?«, wunderte sich Carina nicht ohne eine gewisse Bestürzung.
»Ann-Kristin ist tot«, erklärte ich.
»Ann-Kristin war ihr Name, ja. Woran ist sie denn gestorben?«
»Sie wurde letzte Woche in ihrer Wohnung erwürgt. Nachdem sie vorher gefoltert worden war. Aber sie war eine Prostituierte, deswegen hat es wohl niemanden wirklich interessiert.«
»Großer Gott!«, rief Carina. Sie lächelte unsicher, aber in ihren Augen offenbarte sich die erwachende Sensationslust.
Neugierig schielte sie zu mir herüber, und ich antwortete mit einem verbindlichen Lächeln. Ich hatte ihre schlechtesten Seiten hervorgelockt.
»Und der da«, fuhr ich fort, »erkennst du den wieder?«
Ich deutete auf Hans. Er kniete ganz vorne in der Mitte und grinste ins Objektiv. Ich leerte mein Glas in zwei Zügen, und Carina, die mittlerweile richtig aufgetaut war, schenkte mir sofort nach, während sie versuchte, auf seinen Namen zu kommen.
»Valdenström, Vallenberg, Vannerberg … Hans Vannerberg hieß er, nicht wahr?«
»Bravo«, sagte ich. »Er ist auch tot.«
»Er auch? Es beschleicht einen schon ein mulmiges Gefühl, wenn um einen herum die Gleichaltrigen so langsam anfangen zu sterben. Findest du nicht auch?«
»Eigentlich nicht, ehrlich gesagt. Es war schlimmer, als sie noch gelebt haben«, antwortete ich trocken.
»Wie meinst du das?«, fragte sie, ohne auf eine Antwort zu warten. »Wie ist er denn gestorben?«
»Mit einem Küchenstuhl erschlagen. Nase gebrochen und dann – plopp! – ab ins Hirn mit dem Nasenbein.«
Zur Demonstration schloss ich meine Hände um ein gedachtes Stuhlbein.
»Du machst Witze … Ist das vielleicht ansteckend …?«
»In Tante Ingrids Küche«, verdeutlichte ich und zeigte auf unsere alte Vorschullehrerin.
Die Schadenfreude leuchtete in ihren Augen, und sie schenkte mir ebenso wie sich selbst kichernd ein weiteres Glas Wein ein.
»Ist Tante Ingrid auch tot?«
»Nein, sie ist noch am Leben.«
»Weiter, weiter«, rief Carina Ahonen begeistert. »Erzähl weiter! Ich will jedes Detail wissen!«
Die Eiseskälte von vorhin war wie weggeblasen, und mir wurde vierzig Jahre zu spät klar, wie man am einfachsten den Weg zum Herzen eines Menschen findet.
»Lise-Lott«, sagte ich. »Erkennst du sie auch wieder?«
»Nein, ich glaube nicht«, antwortete Carina und schüttelte den Kopf. »Aber warte … Jetzt erzähl mir nicht, dass sie diese Mutter von zwei Kindern in Katrineholm ist, die vor ein paar Tagen in einem Badezuber ertränkt wurde!«
»Bingo«, sagte ich.
Plötzlich spiegelte sich Verwunderung in ihrem Blick, er bekam etwas Lauerndes.
»Sag mal, woher weißt du das denn alles?«, fragte sie zaghaft. »Bist du bei der Polizei oder so etwas? Bist du vielleicht deswegen hier?«
»Nein, ich bin nicht bei der Polizei«, antwortete ich. »Ich weiß das alles, weil ich sie umgebracht
Weitere Kostenlose Bücher