Pferdekuss
Hand wieder nach mir. Nach Süden streckte sich der Asphaltweg hinunter und dann eine Anhöhe hinauf, hinter der die Dächer der Hauptgebäude hockten. Nach Norden verfranste sich der Hauptweg zwischen Koppelzäunen und Gebüsch gen Polen.
Hajo drehte das Fahrrad nach Süden. Mir kamen Bedenken.
»Vielleicht sollte ich dich von deinem Versprechen mitzukommen entbinden.«
Er lächelte. »Versprechen gelten ohnehin nichts, wenn man sie einer Frau im Liebesrausch gibt. Da verspricht ein Mann alles.«
»Du Hurenbock!«
Er schnalzte mit der Zunge. »Aber ich hoffe doch, du wirst mir helfen. Ich habe keine Lust, als Mörder für den Rest meines Lebens auf der Flucht zu sein.«
Ah, so war das. Nicht er hatte mir ein Versprechen gegeben, als ich ihn zu mir unter Falkos Bauch ließ, sondern ich ihm. Interessant, wie männliche Denkmuster im linken Winkel immer gleich wieder ins Egozentrum führten. Ein Wunder, dass die Herren der Schöpfung nicht überhaupt alle Analphabeten waren.
»Und wenn du nun aber doch der Mörder bist? Hast du diese Möglichkeit bedacht?«
»Das Risiko gehe ich ein.«
Hand in Hand gingen wir ein Stück, Falko zu meiner Linken und das Fahrrad zu Hajos Rechten. Die Sonne stand bereits ziemlich tief über der Fichtenschonung jenseits der Stutenkoppel. Die weiße Herde der Shagyas weidete weit verteilt. Einige der schwarzen Fohlen hatten sich hingelegt und schliefen eingerollt wie Hunde. Die meisten Menschen meinen, dass erwachsene Pferde nur noch im Stehen schlafen. Es gehörte zu den heitersten Erinnerungen an meine zwei Jahre auf dem Gestüt, dass immer wieder Sonntagsspaziergänger aufgeregt in den Hof einliefen mit der Mitteilung, da liege ein totes Pferd auf der Weide, wenn sie eines dickbäuchig im Tiefschlaf auf der Seite hatten liegen sehen.
»Bringen wir es hinter uns«, sagte Hajo, bestieg das Fahrrad und bot mir den Platz auf der Stange an. Er nahm mich zwischen die Arme und biss mir ins Ohr. Falko schob seinen Schädel dazwischen. Das hätte uns beide fast samt Fahrrad umgeworfen. Die ersten paar Meter fuhren wir Schlangenlinien. Dann trabte Falko friedlich schnaufend neben uns her.
32
In Grüppchen standen die Leute auf dem Hof. Die Pferde dösten mit den Nasen an den Mauern, halb geputzt, halb abgesattelt.
Ein Mann in grauem Anzug löste sich aus der Menge. Bongart kam auf uns zu. »Es ist nicht Vanessa«, sagte er und nahm meine Hand, als ob er mir danken wollte. »Ich habe mich geirrt. Frau Feil hat mir gerade eben gesagt, dass es wahrscheinlich Heide ist.«
Er warf Hajo einen abschätzigen Blick zu, den Hajo frech erwiderte.
Gleichzeitig sprang aus der nächsten Gruppe Falkos Halterin auf uns zu und fasste ihm nach Zügel und Ge sicht. Das Pferd schrak hoch und zog missmutig die Na senflügel zurück. »Was haben Sie mit ihm gemacht? Zuschanden geritten haben Sie ihn mir.«
»Kommen Sie lieber weg von hier«, raunte mir Bong art unterdessen ins Ohr. »Dieser Hajo ist unberechenbar. Wer weiß, was er tut, wenn die Polizei …«
Da bahnten sich auch schon vom Wohnhaus her zwei Schutzpolizisten den Weg durch die Grüppchen, gefolgt von Hauptkommissarin Feil und Siglinde mit ihrem Vater.
Hajo hob das Kinn. Bongart brachte sich vorsichtshalber in Sicherheit.
»Herr Lem, Sie sind vorläufig festgenommen«, sagte Feil.
Wenn sie zur Festnahme auf zwei Vingener Schutzpolizisten zurückgreifen musste, dann waren ihr ihre eigenen Leute am Samstag davongelaufen, und zum Kriminaldauerdienst hatte sie auch keinen Draht. Sie hatte alles falsch gemacht und war entschlossen, es zu Ende zu bringen.
Einer der Polizisten nahm Hajo das Fahrrad weg und stellte es ab. Der andere schloss ihm die Hände auf dem Rücken.
»Jetzt sagen Sie ihm noch, warum Sie ihn festnehmen«, sagte ich.
»Wegen des dringenden Verdachts der Tötung von …«, Feil geriet kurz ins Schlingern,»… von Heide Bongart.«
»Ah, hat Bongart inzwischen nun doch lieber seine Frau identifiziert?«
»Sparen Sie sich Ihren Spott«, rüffelte Feil. »Sie ren nen doch schon seit heute Morgen herum und behaupten, die Tote sei nicht Vanessa, sondern Heide Bongart. Herrn Gallion haben Sie damit konfrontiert, wie ich eben erfahren musste. Ich werde den Verdacht nicht los, dass Sie mir Beweismittel vorenthalten haben. Nehmen Sie sich in Acht, sonst haben Sie am Ende noch ein Verfahren wegen Beihilfe am Hals. Warum haben Sie zum Beispiel den Eibenzweig aus der Tüte in Bongarts Fach entfernt?«
Feil wandte sich zum
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