Pflicht und Verlangen
meinte Anne
fürsorglich.
» Nein,
lass nur, ich würde eigentlich gerne unter vier Augen mit David
reden. Ich habe einige Fragen. Außerdem erhielt ich in
Reykjavik einen Brief von Lord Wellesley, der dort auf Anweisung der
Admiralität im Hafenbüro für mich aufbewahrt worden
war.«
» So
weißt du es also?«, fragte David leise.
Sein
Bruder nickte knapp.
******
» Komm
mit in mein Arbeitszimmer, da können wir ungestört reden«,
sagte David und legte dem Heimkehrer die Hand auf die Schulter. Als
sie die Tür hinter sich geschlossen und Platz genommen hatten,
sagte David: »Man wünscht in solchen Fällen wohl
herzliches Beileid …«
Sein
Bruder schwieg, doch dann sagte er: »Machen wir uns nichts vor.
Es tut mir leid um Gwendolyn, gewiss. Ich hätte es ihr
gewünscht, dass sie mit dem Kind glücklich geworden wäre.
Es sollte nicht sein. Allerdings berührt ihr Tod mich seltsam
wenig. Bin ich ein Unmensch? Ich habe diese Frau eigentlich kaum
gekannt, wir sind uns immer fremd geblieben.«
» Was
ist mit dem Kind? Lebt es?«
» Ja,
es ist ein Mädchen. Man hat es auf den Namen Gwennyver taufen
lassen. Ein hübscher Name! Lady Wellesley wünscht, dass ich
mich um das Kind kümmere, es sei schließlich das meine.
Und das werde ich auch tun! Sie soll nicht noch einmal die
Gelegenheit zu einer missglückten Erziehung haben. An meine
Tochter wird sie ihre Finger nicht legen. Ich werde sie so schnell
wie möglich zu mir nehmen, wenn ich ein paar andere Dinge
geklärt habe.« Er sah seinen Bruder mit brennenden Augen
an. »Bevor ich dich nach dem frage, was mir am meisten auf der
Seele liegt … Was ist mit Terency?«
» Oh,
er hat Hochzeit mit des Seilers Tochter gehalten, der Hund. Soll
gewinselt haben wie ein Straßenköter. Ich habe es mir
nicht angesehen, ich hasse so etwas, auch wenn er es noch so verdient
hat. Aber halb London war auf den Beinen!«
» Und
die anderen?«
» Deportiert.
Die kommen nicht mehr zurück! Das war ein Prozess, sage ich dir!
Die Zeitungen waren voll davon. Besonders aber hat Miss Brandon die
Gemüter bewegt.«
John
stöhnte auf. »Sie war dort? Musste das denn sein? Das muss
furchtbar für sie gewesen sein!«
» War
es wohl auch. Der Anwalt Terencys hat sie sehr heftig angegriffen,
aber sie hat allem standgehalten und sich nicht beirren lassen.
London war zu Tränen gerührt, kann ich dir sagen! Sie ist
eine wunderbare Frau. Ich hatte Gelegenheit, sie kennenzulernen.
John, ich verstehe dich sehr gut!«
Dieser
wischte die letzte Bemerkung mit einer ungeduldigen Geste zur Seite.
»Wo ist sie jetzt und wie geht es ihr? Weißt du etwas?
Ich brenne auf Nachricht von ihr, du ahnst nicht, wie sehr! Lebt sie
auf Millford Hall?«
» Nein,
das hat sie abgelehnt. Sie meinte, dass das zu viele schlimme
Erinnerungen in ihr hervorrufen würde. Sie hat sich hier in
London niedergelassen. Sie wollte eine Stiftung gründen und
arbeitet obendrein für das British Museum! Eine wirklich
außergewöhnliche Person. Sie war bei mir wegen der
Stiftung und bat mich, sie zu beraten. Doch sonst habe ich nichts
mehr von ihr gehört, außer, dass sie die betreffende
Stiftung tatsächlich vor einigen Monaten gegründet hat.
Allerdings, da fällt mir ein … vor einigen Tagen kam doch
eine Nachricht von ihrer Stiftung mit der Post. Ich hatte noch keine
Gelegenheit, sie zu öffnen.« Er suchte ein wenig auf
seinem wie üblich mit Schriftstücken übersäten
Schreibtisch umher und förderte schließlich ein mit roten
Lettern auf edelstes Papier gedrucktes und zweifach gefaltetes
Schriftstück zutage. »Ich glaube, es ist eine Einladung
oder so etwas Ähnliches.« Mit einem Lächeln
überreichte er John die Einladung, denn um eine solche handelte
es sich offenbar tatsächlich. Der riss ihm das Gedruckte
förmlich aus der Hand und entfaltete es eilig zur Hälfte.
Seine Augen überflogen bereits rasch und nach Nachricht von
Charlotte gierend die Ankündigung. Doch dann erbleichte er.
» Was
ist?«, fragte David besorgt. Die unerwartete Reaktion seines
Bruders gefiel ihm ganz und gar nicht. Hilflos sah dieser ihn an und
ließ sich schwach in einen Sessel sinken. Dann las er halblaut
vor:
» Einladung
zum Konzertabend mit anschließender Unterrichtungsmöglichkeit
über die Brandon-Stiftung.
Es
laden ein:
Der
Stiftungsvorstand: Mr und Mrs Alexander Plummer
12.
Dezember im Queens Theatre, Beginn 19.00 Uhr
David,
was hat das zu bedeuten?«
Auch
David war nun sichtlich erschrocken. Er biss sich auf die
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