Pharmakon
Eindruck, er könne die merkwürdigen Zufälligkeiten nicht mehr ignorieren, die sich mit der Julian-Klinik verbanden. Warum hatten so viele Ärzte ihre Praxen verlassen, um dort zu arbeiten? Und warum hatte Dr. Vandermer, nachdem er das getan hatte, sich plötzlich entschieden, Jennifer Pregdolen zu verschreiben? So unerfreulich, wie dieses letzte Zusammentreffen auch werden würde, Adam hatte das Gefühl, keine andere Wahl zu haben, als dem Geburtshelfer noch einmal gegenüberzutreten. Er mußte ihn überzeugen, Jennifer entweder ohne Medikation zu behandeln, oder sie als Patientin aufzugeben. Adam wußte, daß er allein seine Frau nicht dazu überreden könne, den Arzt zu wechseln.
Als er sich den südlichen Randgebieten Harlems näherte, entdeckte er die Klinik, wie sie die umgebenden Wohnblocks überragte. Als er ihre spiegelnde Oberfläche bewunderte, erkannte Adam, daß sie von den gleichen Architekten geplant worden sein mußte wie das Arolen-Hauptgebäude. Das Bürogebäude paßte besser in die Umgebung. Die Klinik erschien Adam wie eine Vision aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert, die in eine zweihundert Jahre alte Umgebung geworfen worden war.
Einen halben Block weiter fand Adam einen Parkplatz und setzte den Wagen rückwärts ein. Er nahm seine Aktentasche, falls er seinen Besuch als geschäftlich tarnen müsse, und lief die breiten Stufen zum Eingang der Klinik hoch.
In dem Augenblick, wo er die Klinik betrat, verflog sein Argwohn. Er hatte beabsichtigt, durch die Eingangshalle zur Geburtshilfe- und Gynäkologie-Abteilung zu marschieren, als ob er ein Mitglied des Personals sei. Von seiner Erfahrung als Medizinstudent her wußte er, daß man in einem Krankenhaus überallhin gelangen könne, wenn man nur so tat, als ob man dazugehörte. Die entspannte Atmosphäre der Julian-Klinik ließ ihn jedoch anderen Sinnes weiden. Er ging direkt auf den großen Informationsschalter zu und sagte, er würde gerne Dr. Vandermer sprechen.
»Gewiß«, sagte die Empfangsdame. Sie nahm den Hörer zur Hand und gab Adams Wunsch weiter. »Der Doktor ist da«, sagte sie und lächelte ihn breit an. »Wissen Sie, wie Sie zur GYN-Abteilung kommen?«
»Vielleicht sollte ich den Doktor fragen, ob er Zeit hat, mit mir zu sprechen. Ich möchte mit ihm über meine Frau sprechen.«
»Natürlich wird er mit Ihnen sprechen«, sagte sie, als ob Adam den Verstand verloren habe. »Lassen Sie mich einen der Krankenpfleger rufen.« Sie drückte auf einen kleinen Klingelknopf am Schalter, und sofort erschien ein junger Mann in einem blauen Hemd und einer weißen Chintz-Hose. Die Empfangsdame gab ihm Anweisungen.
Der Mann führte Adam einen langen Zentralkorridor entlang, an einem Blumengeschäft, einem Buchladen und einer angenehm aussehenden Cafeteria vorbei.
»Das ist wirklich eine beeindruckende Klinik«, sagte Adam.
»Ja«, sagte der junge Mann mechanisch.
Adam warf ihm einen Blick zu, während sie weitergingen. Er hatte ein breites, ausdrucksloses Gesicht. Als er ihn genauer beobachtete, dachte Adam, er stehe vielleicht unter Medikamenteneinwirkung; er war wahrscheinlich ein psychiatrischer Fall. Viele chronische Patienten arbeiteten in Krankenhäusern. Sie wurden so sicherer in ihrem Verhalten.
Der Mann verließ Adam in der Halle, die eher an ein privates Wohnzimmer erinnerte als an ein Krankenhauswartezimmer. Sie war mit einer Couch, zwei Stühlen und einem kleinen Tisch möbliert. Eine merkwürdige Klinik, dachte Adam, als er zum Fenster ging. Das verdunkelte Glas verlieh der Häuserreihe auf der anderen Seite der Straße einen seltsamen Farbton. Es sah aus, als ob man eine alte Fotografie betrachte.
Er ging zu der Couch zurück und begann, eines der Magazine durchzublättern. Ein paar Minuten später öffnete sich die Tür, und Dr. Vandermer kam herein. Adam stand hastig auf.
Der Mann sah, besonders in seinem gestärkten weißen Kittel, eindrucksvoll aus. Er schien aber weniger feindselig gesinnt zu sein als bei ihrem ersten Zusammentreffen.
»Adam Schonberg, willkommen in der Julian-Klinik«, sagte er.
»Danke«, sagte Adam, erleichtert und gleichzeitig sprachlos über Vandermers Herzlichkeit. »Ich bin überrascht, Sie hier zu finden. Ich dachte, Sie seien in Ihrer Praxis absolut glücklich und zufrieden.«
»Das war ich auch einmal«, sagte Dr. Vandermer. »Aber die Geld-für-Dienstleistung-Medizin ist eine Sache der Vergangenheit. Hier versuchen wir das Wohlbefinden der Menschen zu erhalten, anstatt sie erst dann
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