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mit der Tradition, vor allem mit der politischen Philosophie der Antike.
Machiavelli übernimmt das humanistische Verständnis von Fortuna, das sich an die Antike anlehnte: Fortuna ist keine blinde
Macht mehr wie im Mittelalter. Sie ist zwar oft undurchschaubar, doch sie beeinflusst unser Leben nur zur Hälfte. Die andere
Hälfte liegt in unserer eigenen Verantwortung.
Es ist die Virtu, die uns dazu befähigt, einen Teil unseres Schicksals in die eigene Hand zu nehmen. Im Gegensatz zu Fortuna
wird der Begriff der Virtu bei Machiavelli jedoch völlig neu bestimmt. Hier stellt er sich in einen Gegensatz zur Tradition,
die vor allem durch den römischen Politiker und Philosophen Cicero repräsentiert wird, dessen Begriffe und Aussagen er immer
wieder aufnimmt, um sie dann radikal in seinem Sinne zu verändern.
Virtu hat nun nichts mehr mit Tugendhaftigkeit zu tun. Sie ist bei Machiavelli vielmehr die Fähigkeit der strategischen Flexibilität
im Umgang mit der Fortuna. Um das Verhältnis zwischen Virtu und Fortuna zu erklären, bedient sich Machiavelli des Bildes einer
erotischen Beziehung: Fortuna ist eine Frau, unberechenbar, wechselhaft, launisch. Virtu, abgeleitet von dem lateinischen
Wort »vir« = »Mann«, bezeichnet männliche Entschlossenheit und Kühnheit im Ergreifen des günstigen Augenblicks. Der ideale
Herrscher ist also der Eroberer der Fortuna mit Hilfe der Virtu. Er beherrscht die Kunst, die Situation realistisch einzuschätzen
und in seinem Sinne zu nutzen. Das deutsche Sprichwort vom »Glück des Tüchtigen« drückt sehr gut diese von Machiavelli beschriebene
Beziehung zwischen Virtu und Fortuna aus: Virtu als politische Klugheit besteht weder in pessimistischer Schicksalsergebenheit
noch in blauäugigem Optimismus, sondern in der Kunst, die »Gunst der Stunde« zu nutzen.
Dazu gehört auch die Möglichkeit, mit Gewalt oder List zu handeln. Cicero hatte behauptet, Gewalt sei eine Eigenschaft des
Löwen, Betrug und List wiederum seien Eigenschaften des Fuchses. Wenn der Mensch sich dieser Mittel bediene, begebe er sich
also auf das Niveau |46| von Tieren herab. Machiavelli übernimmt das Bild vom Löwen und vom Fuchs, und er übernimmt auch die Meinung, dass Gewalt und
List als Mittel eher den Tieren als dem Menschen eigentümlich sind. Aber sein Argument ist auch hier erfahrungsgeleitet und
illusionslos: Da die menschlichen Mittel im politischen Alltag häufig nicht ausreichen, muss man zu den tierischen greifen.
Der Herrscher muss imstande sein, sowohl als Löwe als auch als Fuchs zu handeln. Der Mensch ist nicht so, wie die antiken
Philosophen sich ihn vorgestellt haben: Er ist vielmehr moralisch höchst unzuverlässig, und man muss jeden Augenblick vor
ihm auf der Hut sein. Er ist aggressiv wie ein Wolf und spricht mit gespaltener Zunge wie eine Schlange: »Man muss also Fuchs
sein«, so Machiavelli, »um die Schlangen zu kennen, und Löwe, um die Wölfe zu schrecken.« Gewalt und List sind für Machiavelli
deshalb legitime Werkzeuge der Virtu.
Machiavelli empfiehlt damit auch das, was man heute als »Charaktermaske« bezeichnet. Der Herrscher muss sich je nach Situation
dem Volk in einer bestimmten Weise präsentieren, er muss die Kunst der politischen Inszenierung beherrschen. Wenn Unruhen
zu befürchten sind, tritt er als der Entschlossene auf, wenn der öffentliche Friede es erfordert, spielt er den wohltätigen
und milden Herrscher. Auch die Masken von Mensch und Tier müssen ihm wahlweise zu Gebot stehen. Machiavelli ist der Erste,
der lange vor der Entstehung der modernen Medienwelt erkannt hat, dass Politik sich nicht in Gesetzgebung und Verwaltung erschöpft,
sondern auch in der richtigen Vermittlung von Maßnahmen, in der Kommunikation zwischen Herrscher und Volk besteht.
Machiavellis Herrscher ist kein gewaltbesessener Diktator, sondern ein politischer Schachspieler, der jeden seiner Züge kalkuliert
hat. Ziel seines Handelns ist die Stabilisierung von Herrschaft. Die wichtigste Regel für den Herrscher in seiner Beziehung
zum Volk ist daher die, dass er gefürchtet werden muss, ohne gehasst zu werden. Hass entsteht durch Tyrannei, Verachtung durch
Schwäche. Beides gefährdet die Herrschaft. Eine Schwäche ist es nach Machiavelli auch, wenn der Herrscher das Ziel verfolgt,
vom Volk geliebt zu werden. Genau dieses Ziel hatte Cicero noch für den Herrscher vorgegeben. |47| Machiavelli aber will, dass zwischen Herrscher
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