Philosophenportal
politische Welt ist eine Welt ohne Gott. Weder braucht der Herrscher Gott als Legitimation, noch macht sich Machiavelli irgendwelche
Gedanken über göttlichen Lohn oder Strafe. Als erster neuzeitlicher Denker hatte er eine politische Philosophie begründet,
die auf das Fundament der Religion verzichten konnte. Er hatte den Staat und seine Interessen absolut gesetzt.
Dass Machiavelli auch ein »Machiavellist« war, der alle moralischen Skrupel im Umgang mit der Macht den Interessen des Staates
unterordnete, ist unbezweifelbar. Doch die Erkenntnis, dass es eigenständige Interessen des Staates, ein »Staatswohl« also,
gibt, bleibt eines der Verdienste seines Buchs. Es war Machiavelli, der den Bereich der Politik als unabhängigen Bereich des
Handelns erst für die Philosophie entdeckt hat. Jeder, der heute von »Staatsräson«, von »politischen Kampagnen« oder von »politischem
Handlungsbedarf« spricht, steht in den Stiefeln Machiavellis. Und nie geklärt werden wird, wie viele Politiker diesen Klassiker
der Philosophiegeschichte auf ihrem Nachttisch liegen haben.
Ausgaben:
NICCOLÒ MACHIAVELLI: Der Fürst. Herausgegeben und übersetzt von R. Zorn. Stuttgart: Kröner 1978.
NICCOLÒ MACHIAVELLI: Il Principe/Der Fürst. Zweisprachige Ausgabe. Stuttgart: Reclam 1986.
|50| Aus den Papieren eines Weltweisen
MICHEL DE MONTAIGNE: Essais (1580-1588)
In allen Bereichen des Lebens gibt es Puristen, also Menschen, die bestimmte Dinge nur in absolut reiner Form genießen können.
Die Whiskypuristen verabscheuen es, ihr Lieblingsgetränk mit irgendetwas zu mixen, und bestimmte Liebhaber klassischer Musik
müssen sich dazu zwingen, ein Jazz- oder gar Rockkonzert anzuhören. So gibt es auch Philosophiepuristen, die nur das als Philosophie
anerkennen, was in schwerer theoretischer Rüstung daherkommt: logisch streng argumentierende, möglichst in Paragrafen gegliederte
Traktate, die bereits im Titel plakativ verkünden, dass es ihnen um die letzten Dinge und um sonst gar nichts geht.
Für die Philosophiepuristen waren die
Essais
des französischen Renaissancephilosophen Michel de Montaigne immer schon ein Ärgernis. Ein Kraut-und-Rüben-Philosoph, der
über die Auswahl seiner Themen allen Ernstes behauptet: »Kein Gegenstand ist so geringfügig, dass er nicht mit Fug und Recht
in diese bunte Folge aufgenommen würde.« Ein Zitat aus einem Essay, der den nicht gerade philosophischen Titel »Förmlichkeiten
bei der Begegnung von Königen« trägt. Überhaupt die Titel. Nehmen wir einen der berühmtesten dieser Essays, das so genannte
»Hexenfragment«, dem Montaigne die Überschrift »Von den Hinkenden« gegeben hat. Was erwartet den Leser?
Von »Hinkenden« ist zunächst überhaupt keine Rede. Montaigne scheint sein Thema schlicht zu ignorieren. Er beginnt vielmehr
wie ein Journalist mit einem konkreten Aufhänger: der in Frankreich im 16. Jahrhundert durchgeführten Kalenderreform. Sie führt ihn zu dem Gedanken, dass unsere sehr unzuverlässige Wahrnehmung der |51| Welt dadurch überhaupt nicht beeinflusst wird. Daraufhin erörtert er die Leichtgläubigkeit der Menschen, Wunder und Hexenglauben,
also die Neigung, eher den absonderlichsten Erklärungen Vertrauen zu schenken, als auf die Tatsachen zu schauen. All dies
stützt er nicht mit irgendeiner logischen Beweisführung, sondern mit eigener Erfahrung, die er durch Zitate, Anekdoten und
Sprichwörter ergänzt. Ein Sprichwort schließlich bringt auch die Hinkenden ins Spiel: Sie seien besonders gut zur körperlichen
Liebe geeignet. Auch dafür gibt es nach Montaigne die unterschiedlichsten Erklärungen, eine so gut wie die andere. Der Essay
schließt mit der Aussage, dass all dieses Hin- und Herschwanken zwischen unbeweisbaren Meinungen zeige, dass der Mensch kein
Maß, keine Ruhe und kein Ziel habe, bis Not und Unvermögen ihn zur Ruhe zwingen.
Auf den Titel kann man sich jedenfalls nicht verlassen, wenn man wissen will, welches Thema ein Essay Montaignes behandelt.
Montaigne ist wie jemand, der uns einen Spaziergang zu einem bestimmten Ort ankündigt, dann aber jeden Nebenpfad einschlägt,
der ihm begegnet, und schließlich an einen ganz anderen, neuen Ort gelangt. Als Musiker wäre er ein Meister des Free-Jazz.
In der Tat ist Montaigne der erste große Improvisator in der Philosophiegeschichte. Wenn einer seiner Titel verlässlich ist,
dann der seines dreibändigen Hauptwerks:
Essais
, zu Deutsch:
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